Geschichten

Von der Angst zur Hoffnung

Zhenya und ihre Familie mussten aufgrund der Besatzung ihrer Heimatstadt in der Ukraine fliehen. Bei Medair fanden sie Unterstützung, sodass sie ihr Leben in einer neuen Stadt neu aufbauen und erneut Hoffnung schöpfen konnten.

Zhenya and her family spent their entire lives in their hometown in southern Ukraine. She began her career as a cook at a sports school and dedicated 30 years to her profession. Life was simple, and they were content in their hometown. But then – their lives took an unexpected turn when their city was occupied for nine months.

Zhenya erinnert sich deutlich an diese erschütternden Tage voller Angst und Ungewissheit: «Es war sehr beängstigend. Militärfahrzeuge fuhren nachts durch die Strassen und leuchteten mit ihren Scheinwerfern, um diejenigen zu identifizieren, die in der Stadt geblieben waren. Wir versteckten uns, da wir nicht wussten, wonach sie suchten und warum. Unser Nachbar sah, wie sie eines Tages einen Mann mitnahmen. Wir erfuhren nie, wohin sie ihn gebracht haben oder was mit ihm passiert ist. Das ist mehrmals passiert.» Allmählich verwandelte sich die einst lebendige Stadt in eine Geisterstadt; die Geschäfte schlossen, und die Menschen mussten sich anderswo nach überlebenswichtigen Gütern umsehen. Schließlich beschloss die Familie, dass es Zeit war, die Stadt zu verlassen.

Ein besonders beängstigender Moment wird Zhenya noch lange in Erinnerung bleiben, nämlich als eine Rakete in eine Apotheke in der Nähe ihres Hauses einschlug: «Der Einschlag war ohrenbetäubend. Alle Nachbarn versammelten sich verängstigt im Hausflur. Nach ein paar Minuten schlug eine weitere Rakete in eine benachbarte Bäckerei ein. Diese zweite Explosion war noch lauter als die erste. Das war der Zeitpunkt zu dem wir wussten, dass wir evakuiert werden mussten.»

Zhenyas Mutter Alla, die in einem anderen Stadtteil lebte, zu überreden, die Stadt zu verlassen, war nicht einfach. Doch Zhenya war entschlossen, ihre Familie zusammenzuhalten.

Zhenya sitzt mit ihrer Mutter Alla auf der Couch in ihrer Wohnung in der Stadt Chmelnyzkyj.

«Meine Mutter zögerte, die Stadt zu verlassen. Erstens aufgrund ihres Alters und ihrer Behinderung, und zweitens fiel ihr es ihr schwer, ein Haus mit vielen schönen Erinnerungen zurückzulassen. Doch auch sie war besorgt um die Sicherheit unserer Familie, vor allem ihres Enkelkindes. Schliesslich konnten wir davon überzeugen, mit uns zu kommen, damit sie nicht allein bleibt», so Zhenya.

Sie packten ihre Sachen aber liessen den Grossteil ihres Besitzes zurück. Sie mussten sich beeilen, denn sie fuhren mit einem Evakuierungszug in den westlichen Teil der Ukraine. Als sie in den Zug stiegen, hatten sie keine Ahnung, was sie erwartete. Viele andere schlossen sich ihnen an, einige hatten sogar ihre Haustiere mitgebracht. Unter ihnen war auch Zhenyas Familie, die ihre geliebte Katze mitbrachte. Leider würde jedoch die Katze die harte Reise nicht überleben.

«Wir stiegen in den Zug und wussten nicht, wohin wir fahren würden. Wir wollten einfach nur weg von all dem Grauen und unsere Liebsten und uns selbst retten», sagte Zhenya.

Bei ihrer Ankunft in der Westukraine wurden sie in Gruppen eingeteilt, erhielten einen kleinen Geldbetrag und wurden in Sammelunterkünfte gebracht. Die Bedingungen waren alles andere als komfortabel, aber die Menschen, die sie aufnahmen, waren freundlich und hilfsbereit. Zhenya konnte jedoch den Gedanken nicht ertragen, von ihrer Familie getrennt zu werden. Sie erinnert sich an einen Moment der Panik und Verzweiflung:

«Wir waren in den Räumen einer Grundschule untergebracht. Als wir dort ankamen, bekam ich eine Panikattacke und weinte lange, denn die Frauen waren getrennt von den Männern untergebracht, und ich wollte nicht von meiner Familie getrennt werden. Die Bedingungen dort waren schrecklich, aber die Menschen, die uns aufnahmen, waren sehr freundlich und halfen uns auf jede erdenkliche Weise», erzählt sie. «Wir lebten vier Monate lang dort», fügte sie hinzu.

Eines Tages erhielt Zhenyas Ehemann einen Anruf von einem Mitarbeitenden von Medair – das war ein Wendepunkt. Zhenya vertraute der Stimme am anderen Ende der Leitung, und die Hoffnung begann zu flackern.

«Mein Mann rief mich an und teilte mir mit, dass Leute von der Organisation Medair angekommen waren. Er sagte zu mir: ‹Zhenya, diese Leute scheinen ein gutes Herz zu haben. Ich habe das starke Gefühl, dass sie uns helfen würden›. Ich dachte mir: ‹Endlich gibt es vielleicht etwas Hoffnung in unserem Leben›. Ich hatte Hoffnung, dass sich das Leben meiner Familie verbessern würde.»

Dann fuhr Zhenya mit einem Lächeln im Gesicht fort: «Mein Mann und ich haben uns an das Medair-Team gewandt. Sie erklärten uns alle Schritte und gaben uns Informationen über das Programm für alternative Wohnlösungen und überzeugten auch meinen Mann, sich aktiv um eine neue Arbeitsstelle zu bemühen. Wir begannen sofort, unsere Nachbarn nach freien Häusern zu fragen, und mein Mann begann, in der Gegend nach Arbeit zu suchen, aber wir konnten nichts finden. Dann dachte ich: ‹Warum sollten wir in dieser Region leben, wenn wir versuchen können, in die Stadt zu ziehen?› Mein Mann und ich gingen ins Internet, und wie durch ein Wunder fand er einen Job in der Stadt Chmelnyzkyj.»

Medair hat eine entscheidende Rolle bei der Unterstützung von Zhenya und ihrer Familie in dieser Übergangsphase gespielt. Unser Team beriet sie beim Umzugsprozess und half ihnen bei der Suche nach geeigneten Wohnmöglichkeiten in der Stadt. Trotz aller Herausforderungen fand die Familie schnell eine neue Wohnung und der Ehemann von Zhenya eine Arbeitsstelle in einer Stadt. Innerhalb einer Woche konnten sie in ihr neues Zuhause einziehen. Ihre Dankbarkeit gegenüber Medair war unermesslich.

Zhenya und ihre Mutter Alla zusammen mit den Mitgliedern des Medair-Teams für Unterkünfte.

«Eine eigene Wohnung zu haben, hat uns neuen Mut gemacht und uns inspiriert, unser Leben neu aufzubauen und gleichzeitig anderen zu helfen. Die Freundlichkeit und Offenherzigkeit des Medair-Teams hat uns sehr berührt, und wir hoffen, dass noch mehr Menschen ermutigt werden, Notleidenden zu helfen», freut sich Zhenya.

Gegen Ende unseres Gesprächs erzählte Zhenya: «Wir möchten wirklich nach Hause zurückkehren und träumen von dem Tag, an dem all diese Not ein Ende hat und die Menschen nicht mehr leiden müssen. Aber jetzt versuchen wir erst einmal, uns hier ein Leben aufzubauen. Das Medair-Team hat sich unglaublich freundlich und fürsorglich verhalten. Wir hoffen, dass andere sich ein Beispiel an ihnen nehmen und denen helfen, die sich in der gleichen Situation wie unsere Familie befinden».

Diese Geschichte zeigt, wie es einer Familie gelungen ist, schwierige Zeiten zu überstehen und mit der Unterstützung von Medair sowie mit ihrem eigenen Glauben und ihrer Widerstandskraft einen Neuanfang zu wagen.

 


Die Massnahmen von Medair in der Stadt Vinnytsia in der Zentralukraine werden vom Hohen Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) finanziert.

Dieser Artikel wurde von Mitarbeitenden von Medair in den Einsatzgebieten und am internationalen Hauptsitz verfasst. Die vertretenen Ansichten sind ausschliesslich die von Medair und in keiner Weise auf offizielle Positionen anderer Hilfsorganisationen übertragbar.

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