Geschichten

Widrigkeiten überstehen

Zwei Frauen aus der Region Kiew erzählen ihre Geschichten von Widerstandskraft und Hoffnung

Wir sind zu Besuch in einer Gemeinde in der Region Kiew, bei zwei Frauen, die den Krieg überlebt haben. Beide Frauen hatten durch den Beschuss grosse Schäden an ihren Häusern erlitten. Hier möchten wir Nataliyas und Tetyanas Geschichten von Widerstandskraft und Hoffnung erzählen. 

«Irgendwann gegen 6 Uhr morgens rief mich mein Neffe an: Schläfst du noch? Der Krieg hat begonnen.› Ich rief meinen Kindern zu, den Fernseher einzuschalten, um die Nachrichten zu sehen. Ich hätte nie gedacht, dass ich so etwas in meinem Alter noch erleben würde. Es war ein furchtbarer Schock.» Nataliya erinnert sich noch lebhaft an den Tag, an dem der Krieg in der Ukraine in ihr Leben eindrang. 

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Nataliya vor ihrem Haus in ihrer Heimatgemeinde in der Region Kiew. ©Medair/Diana Mukan.

Die ersten Tage waren chaotisch für Nataliya und die anderen Menschen ihrer Gemeinde in der Region Kiew. Es herrschte grosse Ungewissheit. «Als wir im Dorf einkaufen gingen, standen überall riesige Schlangen vor den Läden. Die Leute kauften alles, was sie kriegen konnten», beschreibt Nataliya. Am 28. Februar 2022 fuhren ausländische Militärkonvois durch ihr Dorf, während Panzer auf Gebäude feuerten. In der Nähe von Nataliyas Haus wurde ein zweistöckiges Haus völlig zerstört. Das Leben der Familie wurde zu einem ständigen Kampf ums Überleben. «Wir haben im Keller gelebt und auch dort geschlafen. Jeden Tag um 5 Uhr morgens begannen die Raketenangriffe. Es war eine herausfordernde Situation. Wir waren so verängstigt, dass wir nicht einmal die Eingangstür öffnen konnten, weil unsere Hände zitterten. Am Ende haben wir bei offener Tür geschlafen», erzählt die 66-Jährige.

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Das Dach von Nataliyas Haus ist von Medair repariert worden. ©Medair/Diana Mukan

Zusätzlich zum Beschuss hatte das Dorf mit Wasser-, Gas- und Strommangel zu kämpfen. «Am 2. März fielen Wasser und Strom aus», erinnert sich Nataliya. «Zum Glück gibt es nicht weit von unserem Haus einen Brunnen. Zusammen mit unseren Nachbarn haben wir uns zusammengetan, um von dort Wasser zu holen. Ausserdem haben wir Schnee geschmolzen, damit wir genug Wasser für verschiedene Zwecke hatten. Die örtlichen Geschäfte waren geschlossen und so wurden unsere Lebensmittelvorräte schnell zu einem Segen», fügt sie hinzu. 

Dass ihre Flucht möglich war, bezeichnet Nataliya als ein Geschenk Gottes. «Wir sind mit unserem Nachbarn mitgegangen. Er hat die Gefahr gespürt und uns geraten, das Dorf zu verlassen», erzählt Nataliya. «Später wurden andere, die zu fliehen versuchten, aufgehalten und sogar beschossen. Wir sind in einem alten Wolga-Auto entkommen. In seinen 50 Jahren war es noch nie so schnell gefahren», fügt sie hinzu. 

Inmitten all der Zerstörung war die Nächstenliebe noch spürbarer. «Weil unsere Fenster von Granatsplittern zerschmettert worden waren, blieb unser Nachbar zurück und vernagelte sie. Die Bäckerei, die Schule und die Bibliothek waren alle bombardiert worden. Gemeinsam mit unseren Nachbarn halfen wir, wo wir nur konnten, und gingen zu den Häusern der anderen, um zu helfen, wo es nur ging», sagt Nataliya. Teilweise mussten dabei Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden: «Im Winter, wenn der Schnee fiel, verwischten wir unsere Spuren, damit niemand sehen konnte, dass wir da waren.» 

Nach unserem Gespräch mit Nataliya, besuchen wir eine weitere Anwohnerin derselben Gemeinde. Ein Blick auf das Eingangstor zu Tetyanas Haus genügt, um sich vorstellen zu können, was ihre Familie erlebt hat. Es ist von Einschusslöchern übersät.

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Das Tor zum Haus von Tatyana, das während der Besetzung des Dorfes beschossen wurde. ©Medair/Diana Mukan

«Eines Tages sass ich auf einer Bank in meinem Garten, als ich die Raketen über mir pfeifen hörte. Sie flogen direkt über mir, und Splitter beschädigten das Dach unseres Hauses und verletzten mich am Kopf», schildert uns die 76-jährige Tetyana.

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Tetyana auf ihrem eigenen Feld, auf dem sie Gemüse und Obst anbaut. ©Medair/Diana Mukan

Tetyanas Gemeinde musste lange Zeit ohne Strom auskommen. Viele Häuser waren durch den Krieg schwer beschädigt worden, und die Familien hatten Mühe, über die Runden zu kommen – ganz zu schweigen vom Wiederaufbau ohne finanzielle und operative Unterstützung. Glücklicherweise konnte das Medair-Team schnell eingreifen und Betroffenen wie Tetyana helfen, ihre Häuser wieder sicher und bewohnbar zu machen.  

Medair reparierte Tetyanas Hausdach, das ihr Schutz vor den harten Witterungsbedingungen und der Kälte des Winters bietet. Zusätzlich hat die Unterstützung durch Medair Tetyana neue Hoffnung für die Zukunft geschenkt – dass sich die Dinge wieder zum Besseren wenden können, wenn der Konflikt endlich abklingt.

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Tetyanas Hausdach nach den Reparaturarbeiten von Medair. ©Medair/Diana Mukan

«Die Unterstützung von Medair hat mein Leben entscheidend verändert. Ich habe nicht nur eine wetterfeste Unterkunft erhalten, sondern fühle mich auch wieder sicher und wohl in meinem Haus. Diese freundlichen Menschen haben nicht nur meine Lebenssituation verbessert, sondern mir auch meine Hoffnung auf eine bessere Zukunft zurückgegeben. Sie haben mich daran erinnert, dass Freundlichkeit und Hilfe das Leben von Menschen in Not verändern können. Ich werde Medair auf ewig für die hervorragende Hilfe dankbar sein», sagt Tetyana mit einem Leuchten in den Augen.

 


Die Medair-Dienste in der nördlichen Zentralukraine werden von der Glückskette, dem deutschen Auswärtigen Amt, der IF! Stiftung, der Stiftung Alborada und weiteren Spenderinnen und Spendern finanziert.

Alle Fotos ©Medair / Diana Mukan 

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