Geschichten

Mobile Nothilfe in der Wüste Kenias

Schon früh am Morgen ist es heiss, als wir in der Wüste zusammenpacken. Auch der starke Wind ist uns keine grosse Hilfe. Vielmehr bläst er uns ständig den feinen Wüstensand ins Gesicht, während wir unsere Vorräte in den Geländewagen laden. Und so wird es auch den ganzen Tag über bleiben. Für die Bewohner dieser Gegend ist dies jedoch eines der geringsten Probleme. Wir befinden uns in North Horr, einem sehr abgelegenen Ort im Norden Kenias, wo die nomadischen Viehzüchter von der historischen Dürre, die die Region seit Jahren plagt, besonders hart getroffen wurden. Mittlerweile ist bereits die fünfte Regenzeit in Folge ausgefallen. Die Menschen müssen zusehen, wie ihre Tiere sterben, weil sie nicht genug Wasser oder Gras zum Überleben finden. Auch für die Menschen bedeutet das Hunger, denn sie leben von dem, was die Tiere ihnen geben. Die Nomaden sind auf den Regen angewiesen, der aber schon seit langem ausbleibt. Und es ist sehr fraglich, ob er jemals in ausreichender Menge zurückkehren wird.

«Die Nothilfe von Medair kommt zu einem Zeitpunkt, an dem die Menschen dringend Hilfe benötigen. Jeden Morgen müssen mehr als die Hälfte der Frauen und Kinder über zwei Kilometer laufen, um die nächste Wasserquelle zu erreichen», berichtet Maureen.

A female humanitarian aid worker pulls a bucket out of well in North Horr, Northern Kenya.

Maureen, WASH-Projektleiterin bei Medair, besucht gemeinsam mit Gemeinschaftsmitgliedern einige Brunnen und Wasserstellen, die saniert oder repariert werden müssen. Hier zieht sie einen Eimer aus dem Brunnen. ©Medair/Stefan Kewitz

Als Projektleiterin für Wasser, Sanitär und Hygiene (WASH) ist Maureen seit Monaten unermüdlich im Bezirk Marsabit unterwegs. In engem Kontakt mit den lokalen Gemeinschaften und Behörden hat sie Wege gefunden, den Menschen vor Ort in dieser schwierigen Situation zu helfen. «Nach den Regenfällen trocknet das Oberflächenwasser schnell aus», so Maureen weiter. «Grundwasser ist die Haupttrinkwasserquelle. Die meisten Wasserpumpen hier, die zur Förderung von Grundwasser installiert wurden, sind kaputt. Viele Bohrlöcher sind während der Dürre zusammengebrochen, meist aufgrund mangelnder Wartung, und wurden aufgegeben. Diese Umstände haben die Menschen dazu veranlasst, nach alternativen Quellen wie ungesicherten Brunnen zu suchen, die nicht sicher sind. Wir verteilen Wasseraufbereitungschemikalien, womit die Menschen das Wasser bei sich zu Hause behandeln können. Ausserdem planen wir derzeit, beschädigte Wasserstellen zu reparieren und Freiwillige aus der Gemeinschaft für deren Verwaltung auszubilden.»

Two female humanitarian aid workers standing at a water point together with local community members in North Horr, Northern Kenya.

Mitglieder der Gemeinschaft zeigen WASH-Projektleiterin Maureen und Caroline, Medair-Landesdirektorin für Kenia, wie die Wasserstelle früher funktionierte, bevor sie durch den Wind in der Wüste zerstört wurde. ©Medair/Stefan Kewitz

Die meisten Familien in Nord-Horr sind Hirtennomaden und ziehen durch die Wüste. Gras und Wasser treiben sie von Ort zu Ort. Es ist daher nicht einfach, die Wandernomaden mit gezielter Hilfe zu erreichen. Wenn unser Fahrzeug voll beladen ist, machen wir uns auf den Weg zu ihnen. Mit einer mobilen Klinik auf vier Rädern bringen wir Ernährungsdienstleistungen in die weite Wüste zu denjenigen, die diese Hilfe dringend benötigen und es kaum schaffen, die lange und teure Reise zu einer der wenigen Kliniken oder Krankenhäuser in der Region auf sich zu nehmen.

A woman of a nomad pastoral community with three camels in North Horr, Northern Kenya.

Die nomadischen Viehzüchter in Nord-Harr verlassen sich hauptsächlich auf ihre Tiere. Die Suche nach Wasser und Gras wird während der schweren Dürre, die derzeit im Norden Kenias herrscht, immer schwieriger. ©Medair/Stefan Kewitz

«Das Problem für die Menschen hier sind die langen Wege, die sie zurücklegen müssen, um Hilfe zu bekommen», erklärt Stephanie, während sie ihren Schreibtisch an einem der elf Standorte einrichtet, an denen Medair mit der mobilen Klinik stationiert ist. Sie ist Krankenschwester in North Horr und Teil unseres Nothilfeteams.

A female humanitarian aid worker distributes therapeutic food and hygiene articles to a woman and her children in North Horr, Northern Kenya.

«Krankenschwester zu sein ist eine Berufung von Gott, es ist keine Karriere. Für mich sind meine Patienten vor Gott alle gleich.» Krankenschwester Stephanie setzt sich unermüdlich für ihre Mitmenschen in Nord-Harr ein. Hier verteilt sie therapeutische Lebensmittel und Hygieneartikel an eine Familie im Rahmen des Ernährungsprogramms. ©Medair/Stefan Kewitz

«Stellen Sie sich vor, jemand kann nicht in eine Gesundheitseinrichtung kommen, wenn er oder sie krank ist, wenn das Kind krank ist. Bei unseren Einsätzen sehen wir uns die Mütter, die Kinder und die Schwangeren an, und sie müssen nicht weit laufen, sondern wir kommen und behandeln sie bei ihnen zu Hause. Durch die Einsätze verbessern wir die Situation vor Ort erheblich. Mit einer solchen mobilen Hilfe, die zu den Menschen hingeht, kann man sich um die Menschen und die Kinder kümmern, und wir sehen, wer Hilfe braucht. Ohne aufsuchende Hilfe bekommen die Kinder oft keine Hilfe, weil ihre Eltern Analphabeten sind und sie nicht in eine Gesundheitseinrichtung bringen können.»

Fatuma ist eine vierfache Mutter und braucht heute Hilfe für ihre kranke Tochter. Wie die meisten hier lebt ihre Familie von der Viehzucht, aber fast ihr gesamter Viehbestand ist der Dürre zum Opfer gefallen. «Früher haben wir Tiere verkauft, um Geld zu haben, damit wir mit dem Motorrad ins Krankenhaus fahren konnten. Aber wegen der schweren Dürre sind die Tiere verendet, und deshalb haben wir kein Geld, um zu den Gesundheitseinrichtungen zu gelangen. Als mein Kind krank war und ich es in die Klinik bringen wollte, erfuhr ich, dass wegen der Krise die Benzinpreise gestiegen sind. Die Fahrt mit dem Motorrad ist deshalb noch teurer geworden, und das macht es für mich noch schwieriger, Hilfe für meine Kinder zu bekommen.

Ihre Tochter wird in das Ernährungsprogramm von Medair aufgenommen, um ihre Unterernährung zu behandeln. In den nächsten Wochen wird Fatuma therapeutische Nahrung für sie erhalten und kann sie zu Hause füttern. Alle zwei Wochen wird die mobile Klinik in der Nähe von Fatumas Zuhause Halt machen, um Patienten zu behandeln und die Fortschritte ihrer Tochter zu überwachen, bis sie gesund genug ist, um entlassen zu werden.

women sitting on the ground in Northern Kenya

Fatuma (in der Mitte des Bildes) ist eine von vielen Patientinnen, die heute die Medair-Ernährungsberatungsstelle besuchen. Alle zwei Wochen macht Medair hier Halt, um die nomadischen Gemeinschaften zu versorgen. ©Medair/Stefan Kewitz

Wenn es bei den Patienten im Ernährungsprogramm keine zusätzlichen medizinischen Komplikationen gibt und die Familien die medizinischen Ratschläge befolgen, erholen sich die Patienten in der Regel auch von schwerer aktiver Mangelernährung schnell.

Borus Sohn Ibrahim ist inzwischen fast vollständig geheilt. Die Behandlung hat bei ihm sehr gut angeschlagen, und der kleine Junge liebt die süsse, kalorienreiche Therapienahrung, die fast wie Erdnussbutter schmeckt und viele wichtige Nährstoffe enthält. Seine Mutter ist froh, dass sie in die Medair-Klinik gekommen ist, als das mobile Klinikteam sie zum ersten Mal besuchte. «Seit mein Kind an Ihrem Ernährungsprogramm teilnimmt, kann ich sehen, wie sich die Situation immer mehr verbessert. Er nimmt allmählich an Gewicht zu. Ich freue mich so sehr über die Fortschritte», sagt Boru dankbar und mit einem erleichterten Lächeln im Gesicht.

A mother holds her boy child in the desert of North Horr, Northern Kenya.

Mutter Boru freut sich, dass sich ihr Sohn Ibrahim von seiner schweren Unterernährung erholt hat. Im Rahmen des Medair-Ernährungsprogramms erhält der Junge wöchentlich therapeutische Nahrung und kann so stetig an Gewicht zulegen. ©Medair/Stefan Kewitz

Wenn es für die Nomaden in Marsabit jemals wieder ausreichend regnen sollte, steht den Familien in der abgelegenen Wüste im Norden Kenias ein harter Weg bevor. Die mobilen Ernährungskliniken von Medair verschaffen der Bevölkerung Zugang zur grundlegenden Ernährungsversorgung. Im Rahmen eines integrativen Ansatzes arbeitet Medair eng mit den örtlichen Gesundheitsbehörden zusammen, deren Mitarbeitende am Medair-Programm teilnehmen, und bietet gleichzeitig Gesundheitsdienste wie Impfungen für Kinder oder Gesundheitsschulungen für Freiwillige und die Gemeinschaften an. Durch die Bündelung der Kräfte ist Medair in der Lage, ein breiteres Spektrum an Dienstleistungen für Menschen bereitzustellen, für die jede andere Hilfe sonst fast unerreichbar weit entfernt wäre.

A male humanitarian aid worker shows a Maternal Infant and Young Child Nutrition counselling card to women and children in North Horr, Northern Kenya.

Gesundheitsmitarbeiter William bei einer Schulung für freiwillige Gesundheitshelfende aus der Gemeinschaft sowie Mütter und Kinder einer nomadischen Hirtengemeinschaft. Hier erklärt er die fünf kritischen Zeiten für das Händewaschen und die ordnungsgemässe Nutzung von Latrinen und Toiletten. ©Medair/Stefan Kewitz


A male humanitarian aid worker immunizes a young girl child of a pastoral nomad community.

Ein kleines Mädchen aus einer nomadischen Hirtengemeinschaft erhält während des integrierten Ernährungsnothilfeeinsatzes von Medair in North Horr im Juli 2023 routinemässig Vitamin A und das Entwurmungsmittel Albendazol. Die Unterstützung von Medair für die Gesundheits- und Ernährungseinsätze des MOH ermöglicht Kindern den Zugang zu Routineimpfungen. ©Medair/Stefan Kewitz

 

 


Dieser Artikel wurde von Mitarbeitenden von Medair in den Einsatzgebieten und am internationalen Hauptsitz verfasst. Die vertretenen Ansichten sind ausschliesslich die von Medair und in keiner Weise auf offizielle Positionen anderer Hilfsorganisationen übertragbar.

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