Geschichten

Wie wird die COVID-19-Pandemie in die Geschichte eingehen?

Die Gefahr ist gross, dass das Coronavirus sich weiter ausbreitet, immer mehr Menschen tödlich erkranken lässt und uns noch lange beschäftigen wird. Deshalb ist es jetzt wichtiger denn je, dass wir unsere Kräfte bündeln – über alle Grenzen von Religionen, Ideologien und persönlichen Weltanschauungen hinweg. Dabei gilt es diejenigen nicht zu vergessen, die besonders schwer von Armut, Konflikten und dem Klimawandel betroffen sind, deren Situation in den Medien jedoch kaum thematisiert wird.

 

Das Coronavirus breitet sich weiterhin über den Globus aus

Die Industrieländer tun derzeit alles dafür, die aktuelle Pandemie einzudämmen. Afrika, dem Nahen Osten und anderen Regionen, die ohnehin bereits mit Notlagen konfrontiert sind, steht das Schlimmste noch bevor. Verschiedene humanitäre Organisationen engagieren sich, um die Länder in den Vorbereitungen auf und Bekämpfung dieser neuartigen Krankheit zu unterstützen. Gleichzeitig laufen reguläre Programme zur Bekämpfung von Masernausbrüchen, hohen Unterernährungsraten, schweren Überschwemmungen und chronischen Nahrungsmittelengpässen weiter.

Meine Kolleginnen und Kollegen bei Medair sind in einigen der entlegensten Gebiete weltweit im Einsatz. Sie arbeiten im Südsudan, dessen Programm ich kürzlich besuchte und wo es für 65 000 Einwohner lediglich einen Arzt gibt. Auch im Jemen, wo sich derzeit die wohl schlimmste humanitäre Krise überhaupt ereignet und in Bangladesch, wo im Lager Kutupalong 40 000 Geflüchtete auf nur einem Quadratkilometer zusammenleben, wird unsere Hilfe gebraucht. Ich fürchte um das Leben dieser Menschen. Wie so oft sind es die Verletzlichsten, die von Krisen wie COVID-19 besonders hart getroffen werden.

Könnte es sein, dass dieses Virus, das weder vor sozialen Schichten noch vor religiösen Überzeugungen oder Staatsgrenzen Halt macht, uns Menschen letztendlich näher zusammenbringt? Wird es uns stärker zusammenschweissen und unser Mitgefühl füreinander wecken?

 

Aufruf an die Regierungen: Wir brauchen weltweite Solidarität

Sogar die wohlhabendsten Länder der Welt wurden von COVID-19 unvorbereitet getroffen. In ganz Europa und in den Vereinigten Staaten mangelte es an lebenswichtigen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal und Beatmungsgeräte für Schwerkranke. Auch die Notfallpläne zum Schutz älterer Menschen in Pflegeeinrichtungen waren vor Ausbruch der Pandemie unzureichend vorhanden. Zwar geht die Zahl der Neuansteckungen bei uns allmählich zurück. Aber Ländern mit mangelhaften Ressourcen steht das Schlimmste noch bevor. Sie benötigen jetzt unsere Unterstützung.

Deshalb bitte ich die Regierungen der Länder, die Hilfe in Anspruch nehmen: Ermöglichen Sie den Hilfsorganisationen einen Zugang in ihre Länder. Nur so kann humanitäre Hilfe gewährleistet werden. Der streng regulierte Güter- und Personenverkehr hat zur Folge, dass ganze Gemeinschaften ohne Vorräte und qualifizierte medizinische Mitarbeitende auskommen müssen. Bitte ermöglichen Sie es uns, unsere Nothilfeaktivitäten auszuweiten und den Transport von Schutzausrüstung und Personal über die Grenzen hinweg sicherzustellen.

Im Flüchtlingslager Kutupalong ist es praktisch unmöglich, sich zu isolieren, um die Übertragung des Coronavirus zu verhindern. In Vorbereitung auf COVID-19 errichten Medair-Mitarbeitende Isolierstationen und erhöhen die Bettenzahl auf den Intensivstationen.

 

Aufruf an die Medien: Berichten Sie über die Verletzlichsten

Die COVID-19-Pandemie könnte Millionen von Menschen das Leben kosten, besonders an Orten, die von Konflikten, Naturkatastrophen und dem Klimawandel stark betroffen sind. Wer nicht erkrankt oder stirbt, wird mit dem Verlust seiner Existenzgrundlagen und mit Nahrungsmittelengpässen konfrontiert. Viele Betroffene leben an Orten, über die früher in den Medien rege berichtet wurde, die nun jedoch aufgrund anderer Notlagen zunehmend in Vergessenheit geraten.

Bereits vor Ausbreitung des Coronavirus schätzte das Büro der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA), dass im Jahr 2020 mehr als 167 Millionen Menschen humanitäre Hilfe benötigen würden. Viele von ihnen leben unter Bedingungen, welche die Ausbreitung von Infektionskrankheiten begünstigen oder ihr schlechter gesundheitlicher Zustand erhöht ihr Risiko auf einen schweren, schlimmstenfalls tödlichen Verlauf von COVID-19. Jede und jeder von ihnen verdienen es, gut geschützt und bei Bedarf angemessen behandelt zu werden.

Es liegt in der Natur der humanitären Arbeit, dass Notfälle, über die medial viel berichtet wird, besonders viele finanzielle Mittel und Ressourcen erhalten. Deshalb appelliere ich an die Medien, sich an die Menschen zu erinnern, die bereits mehrere traumatische Erlebnisse über sich ergehen lassen mussten. Wenn Sie ihre Geschichten erzählen, kann dies dazu beitragen, weitere Katastrophen zu verhindern.

 

Aufruf an Hilfsorganisationen und Geberländer: Gemeinsam erreichen wir mehr

Unsere Teams tun alles in ihrer Macht Stehende, um Dörfer und lokale Gesundheitseinrichtungen auf die neue Bedrohung vorzubereiten und sie bei der Bekämpfung der Pandemie zu unterstützen. Aber ich möchte ehrlich zu Ihnen sein. Die Bedürfnisse übersteigen unsere Möglichkeiten bei weitem. Die wohlhabendsten Nationen beanspruchen momentan einen Grossteil der derzeit verfügbaren medizinischen Ausrüstung. Ihre hohe Nachfrage treibt die Preise in die Höhe. In den bedürftigen Regionen, in denen unsere Teams arbeiten, werden darum dringend zusätzliche finanzielle und materielle Ressourcen benötigt. Auch ist eine Öffnung der humanitären Korridore für Hilfsorganisationen vonnöten, damit Personal und Hilfsgüter leichter ihr Ziel erreichen können. Um bedürftigen Menschen Zugang zu medizinischer Versorgung zu gewährleisten und um Lücken zu schliessen, ist eine gute Koordination unerlässlich.

Die aktuelle Krise betrifft uns alle. In einer Zeit, die von gesellschaftlicher Spaltung geprägt ist, stehen wir jetzt an einem Punkt, an dem wir zusammenstehen müssen, um unseren gemeinsamen, unsichtbaren Feind zu besiegen. Mehr denn je gilt es jetzt, uns für die Menschen einzusetzen, die nicht die medialen Schlagzeilen beherrschen, jedoch durch COVID-19 besonders stark gefährdet sind.

Mir ist bewusst, dass viele von uns selber durch schwere Zeiten gehen und es nicht leichtfällt, über die eigenen Bedürfnisse hinauszuschauen. Dennoch möchte ich Sie einladen, für Hilfsorganisationen, die in Krisengebieten im Einsatz sind, zu beten und sie finanziell zu unterstützen. Denn nur so sind humanitäre Mitarbeitende an vorderster Front in der Lage, gezielt und angemessen ihre Arbeit zu tun.

Wenn Regierungen, Medien, Hilfsorganisationen und Geberländer kooperieren, kann es gelingen, die Auswirkungen von COVID-19 auf das Leben besonders schutzbedürftiger Menschen zu mildern. Alle involvierten Parteien müssen jetzt handeln. Lassen Sie uns gemeinsam Geschichte schreiben – und so intensiv zusammenarbeiten wie nie zuvor.


 

Kopfzeilen-Foto: @Medair/Simon Townsley

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