Von Wassermassen eingeschlossen

«Überall versuchten die Menschen, aus ihren Häusern zu fliehen. Doch es gab kein Entkommen. Das Wasser hatte unser Dorf bereits eingeschlossen. Ich sah, wie meine Nachbarn sich vor den Fluten auf Bäume retteten. Mütter befestigten Moskitonetze an hohen Ästen und setzten ihre Kinder hinein, um sie vor den Überschwemmungen zu schützen».

«Überall versuchten die Menschen, aus ihren Häusern zu fliehen. Doch es gab kein Entkommen. Das Wasser hatte unser Dorf bereits eingeschlossen. Ich sah, wie meine Nachbarn sich vor den Fluten auf Bäume retteten. Mütter befestigten Moskitonetze an hohen Ästen und setzten ihre Kinder hinein, um sie vor den Überschwemmungen zu schützen». Thomas ist Gemeindevorsteher von Chiboma, einem kleinen Dorf am Ufer des Flusses Buzi im Bezirk Chibabava. Er berichtet mir von der Tragödie, die sich in den vergangenen Tagen in seiner Region abspielte – und die vermutlich noch lange nicht zu Ende ist. Sein Dörfchen liegt in der Provinz Sofala in Zentral-Mosambik und wurde vom Zyklon und dem damit einhergehenden Hochwasser besonders schwer getroffen. Als unser Nothilfeteam Chiboma nach acht Stunden Fahrt von der Stadt Beira aus endlich erreichte, stockte mir der Atem. Das Ausmass der Katastrophe und das Leid der Betroffenen lässt sich kaum in Worte fassen.

Vieh, Häuser und Ackerland unter Wasser gesetzt
Die Dorfbewohner hatten bereits mit einer eigenen Such- und Rettungsaktion begonnen. «Die Leute harrten stundenlang aus, bevor die ersten lokalen Rettungskräfte kamen», fährt Thomas fort. «Alle halfen sich gegenseitig. Frauen hievten ihre kleinen Kinder in die Rettungskanus hinein, die Leute schrien durcheinander. Zum Glück wurde niemand ernsthaft verletzt. Andere Dörfer hatten nicht soviel Glück. Dort werden jetzt zahlreiche Tote betrauert.»

Wie viele andere Orte am Flussufer wurde Chiboma von den Überschwemmungen schwer getroffen. Das Hochwasser kam mitten in der Nacht. Traditionelle Lehmhäuser, Tiere und Felder wurden einfach weggeschwemmt. Laut lokalen Behörden sind in der Region Hunderte Menschen direkt von den verheerenden Auswirkungen des Zyklons betroffen.

«Menschen, die ihr Zuhause verloren haben, harren nun in Schulgebäuden aus», beschreibt ein Regierungsbeamter die Situation. «Wir versuchen, den Betroffenen zu helfen, aber im Moment können wir gewisse Gebiete immer noch nicht erreichen. Die Strassen sind seit den Überschwemmungen in miserablem Zustand und unbefahrbar. Wir hoffen, dass der Boden in den kommenden Tagen trocknet, damit wir endlich zu diesen Dörfern vordringen können». Die logistischen Herausforderungen sind in der Tat gewaltig, weshalb bisher die Betroffenen nur wenig Hilfe bekamen. An einigen wenigen Orten finden Nahrungsmittelverteilungen statt, aber um diese Orte zu erreichen, müssen Hilfsbedürftige oft lange Strecken zu Fuss zurücklegen.

Zum Teil ist Hilfe auf dem Landweg aber auch gar nicht möglich: Auf der Westseite des Flusses Buzi ist ein Dorf bekannt, in dem Vertriebene auf Hilfe warten. Normalerweise ist das Dorf auf dem Wasserweg erreichbar Doch die meisten Boote wurden von den Fluten mitgerissen. Einige kleine Holzkanus sind zwar noch erhalten geblieben – doch wer traut sich schon, damit einen Fluss voller Krokodile zu überqueren?

«Mit dieser Zerstörungsgewalt hatte niemand gerechnet»
Während viele Dörfer noch unter Wasser stehen, sinkt der Wasserpegel in anderen Gebieten wieder und die Menschen beginnen zurückzukehren, um ihre Häuser wieder aufzubauen. «Es ging alles so unfassbar schnell», sagt Thomas. «Die nationale Katastrophenschutz-Behörde warnte uns zwar bereits vor zwei Wochen, dass sich etwas Grosses abzeichnet. Aber wir wussten nicht, wann genau. Da wir direkt am Fluss leben, sind wir uns gewohnt, dass dieser ab und zu über die Ufer tritt. Wir sind hier zuhause, hier haben wir unsere Familie, unsere Freunde, unser Vieh und unsere Felder. Wir haben keinen anderen Ort, an den wir gehen können. Deshalb entschieden wir uns, hier zu bleiben. Mit dieser Intensität des Zyklons hatte jedoch wirklich niemand gerechnet.»

Während wir mit Thomas sprechen, setzen sich verschiedene Dorfbewohner zu uns. Als wir Thomas nach den dringendsten Bedürfnissen seines Dorfes fragen, meldet sich eine Frau zu Wort: «Wir brauchen Moskitonetze», sagt sie. «Wir haben sie in den Fluten verloren. Seither können wir kaum mehr schlafen. Auch Decken fehlen uns und Pfannen und Töpfe, damit wir wieder kochen können». Die Frau heisst Rosa Manuel. Sie ist in Chiboma aufgewachsen und lebt mit ihren neun Kindern wieder im Dorf, seit ihr Mann vor ein paar Jahren gestorben ist. Zur Sicherung ihrer Existenz baut sie Mais und Erdnüsse an. «Das Wasser überraschte uns mitten in der Nacht», berichtet sie. «Alle im Dorf schliefen. Als ich merkte, was geschah, dachte ich sofort an meine Kinder. Ich weckte sie auf und wir rannten los, die zwei Kleinen trug ich auf dem Arm». Rosa und ihre Kinder suchten bei ihren Nachbarn Zuflucht, deren Haus etwas höher liegt. Am nächsten Tag machten sie sich dann auf den Weg in die nächstgrössere Ortschaft, wo Regierungsbeamte offensichtlich Hilfsgüter an Betroffene verteilten, welche in einer lokalen Schule Zuflucht gesucht hatten. «Der Andrang war riesig», so Rosa. «Ich glaube, dass sogar die Regierung vom Ausmass der Katastrophe völlig überrascht war».

In Chiboma fangen die Bewohner langsam mit dem Wiederaufbau ihrer Häuser an. Doch dieser wird alles andere als einfach werden. «Unser Haus wurde schwer beschädigt», sagt Rosa. «Das Dach hält zwar noch, aber zum Teil fehlen die Wände. Wenn es zu regnen beginnt, läuft Wasser hinein». Ich frage Rosa, wovor sie sich am meisten fürchtet. Sie schaut zu Boden und nach einer langen Pause antwortet sie leise: «Ich habe Angst, dass ich meine Kinder in den kommenden Monaten nicht mehr ernähren kann. Meine Ernte, mein Vieh, mein ganzer Besitz ist weg. Hochwasser ist in unserer Region nichts Besonderes. Aber diese Zerstörungsgewalt haben wir noch nie erlebt. Ich habe wirklich Angst. Die Leute im Dorf sagen, dass bald eine weitere Katastrophe kommen wird. Ob das stimmt, oder nicht: Auf jeden Fall möchte ich nächstes Mal gut vorbereitet sein.»

Allein in Chiboma sind mehr als 160 Familien vom Zyklon Idai und seinen Auswirkungen betroffen. «Es ist das erste Mal, dass eine internationale Hilfsorganisation uns unterstützt», erklärt Thomas. In Beira und anderen Städten hat der Wiederaufbau begonnen – das ist gut. Aber wir dürfen kleinere, schwer erreichbare Ortschaften, deren Bewohner noch immer auf Hilfe warten, dabei auf keinen Fall vergessen.


Medair reagierte auf den Zyklon Idai und die damit einhergehenden Überschwemmungen und hat ein Nothilfeteam nach Mosambik entsandt. Das Team erreichte die Stadt Beira am 24. März. Gemeinsam mit anderen Hilfsorganisationen ist Medair derzeit dabei, die dringendsten Bedürfnisse vor Ort zu ermitteln.

In Mosambik arbeitet Medair eng mit Food for the Hungry zusammen. Die Entwicklungshilfeorganisation ist seit 1987 mit Ernährungs- und Gesundheitsprogrammen im Land aktiv. Die beiden NGOs sind dabei, umfassende Nothilfemassnahmen durchzuführen – jede Organisation konzentriert sich dabei auf ihren jeweiligen Fachbereich. Das gemeinsame Ziel ist, den dringendsten Bedarf an Ernährungs- und Gesundheitsleistungen sowie Notunterkünften in besonders abgelegenen und schwer betroffenen Teilen der Provinz Sofala zu decken.

In den nächsten Tagen verteilen wir in betroffenen Gemeinschaften Bausätze für Unterkünfte, Küchenutensilien und Hygieneartikel sowie Hilfsmaterial zur Vorbeugung von Cholera. 2000 Haushalte sollen während dieser ersten, auf drei Monate angelegten Nothilfephase, umfassende Unterstützung erhalten.

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