Geschichten

Hoffnung schenken

Unterstützung betroffener Menschen durch die Verteilung von Unterkunftspaketen, Kochutensilien und Hygieneartikeln

Ich hatte wegen der damit verbundenen Gefahren lange Zeit Angst vor der Fahrt. Schliesslich liegt dieses Gebiet in der Ostukraine, nahe an der russischen Grenze und in der Nähe der Frontlinie, wo noch immer Explosionen zu hören sind. Dennoch waren dort Menschen, die unsere Hilfe brauchten. Also machte ich mich eines frühen Morgens gemeinsam mit dem Team von Medair aus Charkiw auf den Weg, um Betroffene mit lebenswichtigen Hilfsgütern zu versorgen.

Die Fahrt zu unserem ersten Standort dauerte etwa 3 Stunden. Wir zogen kugelsichere Westen an, probierten Helme auf (für den Fall, dass wir Explosionen hörten), stiegen ins Auto und machten uns auf den Weg. Ich hielt den Atem an und liess die Kamera nicht los. Soweit das Auge reichte, überall waren zerstörte Häuser, verbrannte Militärausrüstung und beschädigte Strassen. In einigen Gebieten herrschte eine unheimliche Atmosphäre. Man konnte nur ahnen, was die Menschen, die dort einst wohnten, erlebt hatten. Unsere Transporter hielten im Zentrum eines der Dörfer, wo sich Freiwillige versammelten, um sie auszuladen. Die Menschen standen Schlange, um die Sachen in Empfang zu nehmen. Ich wurde auf eine der Freiwilligen aufmerksam. Sie stellte sich als Maryna vor und erklärte sich bereit, ihre Geschichte zu erzählen.

Medair`s team: Ahmad Al Sous, M&E Technical Officer, Roz Keating, Project Coordinator, Sviatoslav Rodiuk, Communications Officer

Das Medair-Team: Ahmad Al Sous, technischer M&E-Beauftragter, Roz Keating, Projektkoordinatorin, Sviatoslav Rodiuk, Kommunikationsbeauftragter

«Vor 9 Jahren haben wir in diesem Dorf ein Haus gekauft und mit dem Bau unserer Wohnung begonnen. Doch dann begannen die Feindseligkeiten. Als die Gläser auf unserem Tisch wackelten, wussten wir, dass es Zeit war, zu gehen. Von allen Seiten hörte man Explosionen, also haben wir schnell unsere Sachen gepackt, unseren Schäferhund genommen und sind in eine andere Stadt gezogen. Wir haben dort für 4 Monate eine Wohnung gemietet, aber schon bald hatten wir kein Geld mehr; ich bin arbeitslos und mein Mann ist im Ruhestand. Wir hatten also keine andere Wahl, als zurückzukehren», sagte Maryna.

Maryna is standing near the destroyed building in her village

Maryna steht in der Nähe des zerstörten Gebäudes in ihrem Dorf

«Als wir in unser Haus traten, traf uns der Schock. Wo die Hundehütte gestanden hatte, war alles zerstört. Wenn wir den Hund nicht mitgenommen hätten, hätte er wahrscheinlich nicht überlebt», sagte Maryna. «Drinnen war alles verwüstet, Kleidung war überall verstreut … aber das grösste Problem war, dass die Fenster aus der Verankerung gerissen worden waren und wir konnten sie nicht ersetzen, weil das Dorf besetzt war. Wir beschlossen, Gegenstände mit unseren Nachbarn zu tauschen und fanden einen Herd, damit wir kochen konnten», sagte Maryna.

«Ich arbeite jetzt ehrenamtlich für Medair Ukraine und helfe bei der Verteilung und Annahme von Gütern, der Registrierung von Menschen und der Ausgabe von Paketen. Diese Arbeit – und die Möglichkeit, mit Menschen in Kontakt zu kommen – lenkt mich von all dem Grauen ab, das wir durchmachen mussten. Wir gehören hierher und würden nirgendwo anders hinziehen; wir wollen eigentlich hier leben», sagte Maryna, während sie sich damit beeilte, die Dorfbewohner für die Hilfe zu registrieren.

Ich legte meine Kamera weg, um mit den Menschen zu sprechen und ihre Geschichten zu hören. Da kam eine 55-Jährige Frau namens Svitlana auf mich zu. Sie war zusammen mit ihrem Mann und ihrem erwachsenen Sohn gekommen, die beim Entladen der Transporter halfen, um Unterstützung zu erhalten. «Zuerst war es ruhig, aber als die Bomben abgeworfen wurden, waren wir geschockt und konnten nicht glauben, dass so etwas überhaupt möglich war. Wir haben uns auf die Erde gelegt, die Hände über dem Kopf verschränkt und still gelegen in der Hoffnung, dass wir es lebend herausschaffen würden», sagt sie.

Svitlana is standing near her car.

Svitlana steht neben ihrem Auto

«Das Schlimmste war, dass unser Dorf am 24. April 2022, dem Tag des orthodoxen Osterfestes, besetzt wurde. Wir sassen einfach im Keller, weil wir nicht raus konnten, und hatten alle grosse Angst», sagte Svitlana.

Sechs Monate später war das Dorf nicht mehr besetzt. Nachdem sich die Dorfbewohner wegen des Beschusses die ganze Zeit in ihren Kellern verstecken mussten, konnten sie endlich ihre Häuser wiederaufbauen und mit ihrem Leben weitermachen. «Zum Glück wurde unser Haus nicht beschädigt. Ich habe zu Gott gefleht, dass es verschont bleibt, wir hätten weder die Kraft noch das Geld gehabt, ein neues Haus zu bauen. Und ich habe darum gebetet, dass meine Familie nicht in Gefahr gerät», sagte Svitlana.

«Medair hat uns auch im tiefsten Winter geholfen, die Jahreszeit zu überstehen, als es weder Strom noch Heizung gab. Jetzt haben wir weitere Hilfsgüter erhalten, die für ein normales Leben unerlässlich sind. Danke sehr dafür. Wir sind einfach nur dankbar, dass unsere Gegend endlich ruhig und friedlich ist, das ist das Wichtigste », sagte Svitlana.

In der Ostukraine hilft Medair den Menschen durch die Verteilung von Unterkunftspaketen, Kochutensilien, Bettzeug und Hygieneartikeln.

Anton Rozhanskyi and Heorhii Peltek, Medair`s Emergency Response Team

Anton Rozhanskyi und Heorhii Peltek, das Nothilfeteam von Medair

«Im Rahmen der Verteilaktion in Donezk konnten wir in weniger als einem Monat Donezk über 3000 Menschen helfen. Die Menschen waren so dankbar, das hat uns berührt und gezeigt, dass unsere Arbeit trotz der Gefahren wichtig ist, um die Menschen zu unterstützen und ihnen Hoffnung zu geben“, so Anton und Heorhii, Mitarbeiter von Medair in der Ukraine.

People are waiting for the distribution

Menschen warten auf die Verteilung


Shelter kits, and hygiene items in the van

Unterkunftspakete und Hygieneartikel im Transporter


Damaged building in the village

Beschädigtes Gebäude im Dorf

 


Die Dienste von Medair im Osten der Ukraine werden neben anderen Spendenden und Stiftungen vom Pool Fund (PF) finanziert.

Dieser Artikel wurde von Mitarbeitenden von Medair in den Einsatzgebieten und in der Zentrale verfasst. Die vertretenen Ansichten sind ausschliesslich die von Medair und in keiner Weise auf offizielle Positionen anderer Hilfsorganisationen übertragbar.

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