Geschichten

Der kritische Mangel an medizinischer Versorgung im syrischen Deir ez Zor

In den Gesundheitseinrichtungen der Stadt herrscht ein gravierender Mangel an wichtigen medizinischen Geräten und Gesundheitspersonal.

Seit Ende August ist der Konflikt an mehreren Orten entlang des Ostufers des Euphrat wieder aufgeflammt. Über 6500 Familien sind davon betroffen, darunter vor allem Frauen, Kinder und ältere Menschen. Diese Familien wurden auf die westliche Seite des Euphrat vertrieben und wurden zu Binnenvertriebenen. Darüber hinaus herrscht in der Bevölkerung ein Mangel an Wasser, Lebensmitteln, Säuglingsnahrung, Medikamenten und Strom. Private Krankenhäuser wiederum haben mit einem gravierenden Mangel an medizinischem Personal, Medikamenten und lebenswichtigen Hilfsgütern zu kämpfen.

A one-day-old baby sleeps in an incubator in Deir ez Zor Hospital.

Dieses Neugeborene hatte Glück im Unglück: An diesem Tag war ein Brutkasten verfügbar, der entscheidend für die Gesundheit des Babys war. Das Krankenhaus Deir ez Zor leidet unter einem Mangel an wichtiger medizinischer Ausrüstung. Vorhandene Geräte sind entweder veraltet oder nur begrenzt verfügbar. ©Medair/Lubna Zarzour

In Deir ez Zor, der grössten Stadt im Osten Syriens, gibt es nur ein betriebsbereites Krankenhaus, das rund 1,5 Millionen Menschen versorgt. Es ist jedoch nicht nur stark beschädigt, sondern es fehlt auch an Gesunheitspersonal und wichtigen medizinischen Geräten.

Bei den Besuchen von Medair in verschiedenen Gesundheitseinrichtungen machte das Team eine besorgniserregende Entdeckung: «Bei der Besichtigung des einzigen funktionierenden Krankenhauses in Deir ez Zor sahen wir Menschen, die dringend medizinische Hilfe benötigten. Sie warteten sehnsüchtig darauf, dass sie im einzigen funktionierenden Operationssaal an die Reihe kamen, und sie operiert werden konnten. Ihre Angehörigen beteten, dass sie medizinisch versorgt würden, bevor sich ihr Gesundheitszustand weiter verschlechterte. In einigen Fällen kam es leider zu Todesfällen.»

Das Team fügte hinzu: «In der Zwischenzeit konnten wir in einem anderen Korridor die zerbrechlichen Schreie von Frühgeborenen hören, die auf einen freien Brutkasten warteten. Die ausdruckslosen Gesichter dieser Menschen zeigten uns die tiefgreifenden Auswirkungen der Situation auf ihre psychische Gesundheit. Die traumatische Erfahrung der Vertreibung, der Verlust von Familienmitgliedern und Lebensgrundlagen hat zu einem grossen Ausmass an psychischer Belastung und Trauma geführt.»

A mother patiently awaits the completion of her 4-year-old daughter's surgery, fervently praying for its success and her child's improved health.

Ein Korridor des Krankenhauses von Deir ez Zor. Hier warten Menschen ängstlich darauf, dass ihre Angehörigen medizinisch versorgt werden, bevor sich ihr Gesundheitszustand weiter verschlechtert. Das Gebäude wurde während der Syrienkrise schwer beschädigt und verfügt nur über einen funktionierenden Operationssaal. ©Medair/Lubna Zarzour

Vor zwölf Jahren, vor Ausbruch der Syrienkrise, gab es in Deir ez Zor drei öffentliche Krankenhäuser, die der Bevölkerung kostenlos zur Verfügung standen. Zwei dieser Krankenhäuser wurden jedoch während der Krise zerstört, und das dritte wurde teilweise beschädigt, so dass es nun an wichtigen medizinischen Geräten und Personal fehlt.

Dr. Batoul, Hämatologin im Krankenhaus von Deir ez Zor, äusserte gegenüber Dr. Jamal vom Medair-Gesundheitsteam ihre Bedenken: «Einige der veralteten Geräte des Krankenhauses, wie etwa Druck- und Zuckermessgeräte, liefern gelegentlich ungenaue Informationen.»

Dr. Hamza, Kinderarzt im Krankenhaus, fügte hinzu: «Wir haben einen Mangel an Brutkästen, so dass wir manchmal zwei oder drei Babys in einem einzigen Brutkasten unterbringen müssen. Manchmal müssen wir die Babys warten lassen, bis ein Platz frei wird, was zu tragischen Fällen führt, in denen einige Babys nicht überleben.»

Das Team unter der Leitung des Medair-Gesundheitsbeauftragten Dr. Jamal reiste von Deir ez Zor aus in Richtung Osten. Am Westufer des Euphrat stiessen sie auf ein beschädigtes Gebäude. Dieses diente einst als Zentrum für die medizinische Grundversorgung in der Region Al Ashara. Heute bietet das Zentrum jedoch nur Routineimpfungen für Kinder an.

Herr Barakat, Mitarbeitender beim DoH, führt das Medair-Team durch die Einrichtung und erklärt: «Die Rekrutierung von Gesundheitsmitarbeitenden für das öffentliche Gesundheitszentrum ist eine Herausforderung. Viele Ärztinnen und Ärzte zögern aufgrund des geringen Gehalts von etwa 12 Dollar pro Monat, dort zu arbeiten. Ausserdem fehlt es dem Zentrum an wichtiger Ausrüstung.»

Dr Batoul shares her concerns with Dr Jamal, from the Medair health team.

«Nachdem die beiden anderen Krankenhäuser während der Krise nicht mehr funktionsfähig waren, erfüllt das Krankenhaus von Deir ez Zor nun den Zweck von drei Krankenhäusern. Es versorgt 1,5 Millionen Menschen, verfügt aber leider nur über eine begrenzte Anzahl von Ärzten und es fehlt an mehreren wichtigen medizinischen Geräten wie Beatmungsgeräten, Echokardiogrammen und Druckmessgeräten. Aufgrund des hohen Alters einiger Geräte, wie z.B. Druckmesser und Zuckermessgeräte, liefern sie gelegentlich ungenaue Informationen.» Dr. Batoul, Fachärztin für Hämatologie im Spital, brachte ihre Besorgnis gegenüber Dr. Jamal vom Medair-Gesundheitsteam zum Ausdruck. ©Medair/Lubna Zarzour

Dr. Jamal erklärte: «In Notfällen, die eine sofortige medizinische Versorgung erfordern, müssen die Bewohner des Gebiets von Al Ashara, in dem etwa 35 000 Menschen leben, leider zum nächstgelegenen Krankenhaus fahren. Das ist etwa 19 Kilometer entfernt. Da es in Al Mayadeen keine öffentlichen Verkehrsmittel gibt und es Stunden dauern würde, bis ein Krankenwagen eintrifft, müssen die Familien oft ein Auto mieten, um das Krankenhaus zu erreichen. Dies stellt eine erhebliche finanzielle Belastung für die ohnehin schon schwachen und einkommensschwachen Menschen dar.»

Als das Medair-Team zu seinem Auto zurückgekehrt war, war es an der Zeit, das nächste Gebiet zu besuchen. 122 Kilometer später traf die Gruppe im Gebiet Al Sayala ein. Dort trafen sie auf ein ähnlich baufälliges Gebäude, das früher als primäres Gesundheitszentrum gedient hatte.

Herr Hasan, der einige kleinere Sanierungsarbeiten beaufsichtigte, beschrieb die derzeitige Situation mit den Worten: «Mit Hilfe der Anwohner haben wir es geschafft, die Bäder und Räume des Zentrums zu reparieren. Allerdings fehlt es uns immer noch an Ausrüstung, Möbeln und Personal.»

Yusra, Mutter eines 9-jährigen Kindes, erzählt: «Bei meinem Kind und dem Sohn meiner Nachbarin wurde letzte Woche Cholera diagnostiziert. Der Arzt sagte, dass der Grund dafür die unsicheren Wasserquellen aus dem Euphrat sind. Wir sind auf sie angewiesen, vor allem in den heissen Sommermonaten, wenn die Temperaturen auf über 40°C steigen. Wir haben keine alternativen Wasserquellen. Die örtliche Wasserstation wurde während des Syrienkonflikts stark beschädigt, so dass hier niemand Zugang zu sicherem Trinkwasser hat.»

Vaccine freezer, Al Ashara PHC

In dieser Gefriertruhe im primären Gesundheitszentrum von Al Ashara im ländlichen Gouvernement Deir ez Zor werden Impfstoffe gelagert. Routineimpfungen für Kinder sind die einzige Dienstleistung, die das PHC derzeit anbietet, da es an Ausrüstung und Personal mangelt. ©Medair/Lubna Zarzour

Medair beteiligt sich aktiv an der Unterstützung des Gesundheitssystems in Deir ez Zor. Mit Mitteln der Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) und der Europäischen Kommission für humanitäre Hilfe und Katastrophenschutz (ECHO) hat Medair ein Entbindungszentrum im Gebiet Al Rishdeh instand gesetzt sowie wichtige medizinische Geräte beschafft. Zudem hat das Team 40 Sauerstoffflaschen für die Sauerstofferzeugungsstation im Krankenhaus von Deir ez Zor geliefert, wovon rund 30 000 Menschen profitieren.

In einem weiteren Projekt, das von November 2022 bis Ende Juli 2023 lief und vom Syrian Humanitarian Fund (SHF) unterstützt wurde, verteilte das Medair-Team 1080 Cholera-Kits an Familien in der ganzen Stadt. Jedes Set enthielt 40 Tabletten zur Wasseraufbereitung, einen Kanister und Seifenstücke, und half so, die Ausbreitung der Cholera in Deir ez Zor einzudämmen.

Medical Oxygen generator station, Deir ez Zor Hospital

Medizinische Sauerstoffgeneratorstation im Krankenhaus von Deir ez Zor. Medair lieferte dem Krankenhaus 40 Sauerstoffflaschen, das rund 30 000 Patienten und Patientinnen versorgt. ©Medair/Lubna Zarzour

Das Gesundheitssystem in Deir ez Zor braucht dringend mehr Unterstützung. Das  Leben vieler Menschen könnte somit gerettet und der Zugang zu grundlegenden Bedürfnissen wie medizinischer Behandlung und Medikamenten ermöglicht werden.

 


Die Arbeit von Medair in Syrien wird durch die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) und die Generaldirektion Europäischer Katastrophenschutz und humanitäre Hilfe (ECHO), den Syrian Humanitarian Fund (SHF) und grosszügige private Spenden ermöglicht.

Dieser Artikel wurde von Mitarbeitenden von Medair in den Einsatzgebieten und am internationalen Hauptsitz verfasst. Die vertretenen Ansichten sind ausschliesslich die von Medair und in keiner Weise auf offizielle Positionen anderer Hilfsorganisationen übertragbar.

CONSULTEZ NOS DERNIÈRES HISTOIRES