Larisa, a 71-year-old affected by the conflict IDP, who lost her home

Die 71-jährige Larisa ist zusammen mit ihrem Enkel aus ihrer Heimatstadt nahe der russischen Grenze geflüchtet. Ihr Enkel ist erst 14 Jahre alt, doch hat aufgrund der schrecklichen Erfahrungen des vergangenen Jahres bereits graue Haare bekommen.

«Ich habe mich die ersten zwei Wochen in einem Keller versteckt. Während dieser ganzen Zeit hörte ich nur, wie die Raketen in der Ferne einschlugen. Mein 14-jähriger Enkel sagte zu mir: ‘Ich werde wahrscheinlich hier sterben.’ In diesem Moment wurde mir klar, dass ich ihn retten musste.»

Larisa und ihr Enkel sind nach Lanivtsi, einer Stadt im Westen der Ukraine, geflohen. Wir lernen sie kennen, als wir in der Stadt eine Verteilungsaktion von Hygienesets für Binnengeflüchtete durchführen. Als unser Bus im Stadtzentrum ankommt, warten dort bereits viele Menschen. Mit weniger als 10 000 Einwohnern ist Lanivtsi eine kleine Stadt. Ich lasse meinen Blick schweifen und sehe hübsche Häuser, Reif auf den Ästen der Bäume und vernehme den Geruch von Rauch, der von Häusern, die mit Brennholz beheizt werden, stammt.

Larisa, a 71-year-old IDP, is registering for getting NFI hygienic kit

Marichka, Programmassistentin bei Medair, registriert die 71-jährige Larisa für die Abholung eines Hygienesets im Stadtzentrum von Lanivtsi.


Larisa is getting her NFI kit from Medair

Nach der Registrierung geht es zum Medair-Bus, wo Ihor schon mit einem Hygieneset bereitsteht, um es Larisa zu übergeben.

Der Grund, wieso Larisa gerade in Lanivtsi Zuflucht suchte, ist, weil sie bereits Verwandte hier hatte. Es fällt ihr schwer, sich an die Ereignisse in ihrer Heimatstadt zu erinnern. «Wir haben schlimme Dinge erlebt. Ich glaube, mein Enkel hat deshalb sogar schon seine ersten grauen Haare. Wir sind in einem Auto geflohen, in dem tote Menschen sassen. Mein Enkel und ich sassen in einem Anhänger mit Leichen. Aber selbst das hat uns nicht aufgehalten. Wir träumten davon, zu überleben. Können Sie sich das Grauen vorstellen?» fragt Larisa, während ihr Tränen über die Wangen laufen. Nachdem sie sich die Tränen mit der Hand abgewischt hat, fährt sie fort: «Wir haben uns jetzt hier niedergelassen, mein Enkel geht hier zur Schule. Ich möchte natürlich immer noch nach Hause, auch wenn ich weiss, dass mein Haus zerstört ist. Meine erwachsenen Kinder sind zurückgeblieben. Sie haben mir erzählt, dass eine Rakete ganz nah bei ihrem Haus gelandet ist und ihr Dach zertrümmert wurde. Meine beiden Söhne wollen auch fliehen, aber die Behörden lassen sie nicht. Ich träume davon, sie wiederzusehen.» Nach einer kurzen Pause erscheint ein Lächeln auf ihrem Gesicht und sie sagt: «Vielen Dank, dass ihr mir geholfen habt. Es war mir eine grosse Hilfe, denn ich bin im Ruhestand und das Geld ist knapp. Ich muss die Nebenkosten bezahlen, Brennholz kaufen und aufgrund meines Alters viele Medikamente einnehmen. Ich danke Gott, dass es hier, wo ich gerade bin, keine Konflikte gibt. Ich habe gelernt, mich an einfachen Dingen zu erfreuen. Und ich versuche sogar, Menschen zu helfen und zu unterstützen, die gerade erst hier angekommen sind.»

Serhiy, a 66-year-old affected IDP got his NFI kit.

Auch Serhiy, ein 66-jähriger Binnenvertriebener aus Charkiw, hat ein Hygieneset von Medair erhalten.

In der Menge bemerken wir auch einen älteren Herrn. Er hat sein Paket mit essentiellen Hygieneartikeln bereits erhalten und beobachtet aufmerksam andere, die noch auf ihre Pakete warten. Als wir ihn ansprechen, stellt er sich als Serhiy vor. Er ist 66 Jahre alt und stammt aus Charkiw, einer Stadt im Osten der Ukraine, die seit Beginn des Konflikts unter ständigem Beschuss steht. Wir bieten ihm ein Gespräch an, und er erklärt sich bereit, seine Geschichte mit uns zu teilen.

«Am ersten Tag des Konflikts sind alle Fenster meiner Wohnung zersprungen. Das war so laut, dass ich davon aufgewacht bin. Den ganzen Morgen hörte ich Explosionen und Raketen. Es war sehr beängstigend. Charkiw, meine Heimatstadt, hat am meisten gelitten. Es war, als gäbe es keinen einzigen ruhigen Moment. Zusammen mit meiner Tochter, meinem Sohn und ihren Familien sind wir geflüchtet. Jetzt leben wir seit fast einem Jahr hier», erzählt Serhiy.

In seiner Heimatstadt hat Serhiy als Fahrer gearbeitet. Er erzählt uns, dass er versucht hat, in Lanivtsi einen Job zu finden. Aufgrund seines Alters möchte ihn jedoch niemand einstellen. Auch wenn er sich jetzt endlich sicher fühlt, träumt er davon, nach Hause zurückzukehren: «Es ist sehr beruhigend zu wissen, dass wir hier Hilfe und Betreuung bekommen. Aber am meisten wünsche ich mir, nach Hause zurückzukehren. Ich träume davon, meine Wohnung zu renovieren und dort ein neues Leben zu beginnen», sagt er.

Nadiia, die aus Kachowka, einer Stadt in der Nähe des kürzlich besetzten Cherson, nach Lanivtsi kam, hat einen ähnlichen Traum. Sie ist 39 Jahre alt und hat zwei Töchter im Alter von 6 und 12 Jahren.

Nadiia, a 39-year-old IDP who fled to Lanivtsi from Kakhovka, a city near de-occupied Kherson

Mehr als alles andere wünscht sich Nadiia, die mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern aus Kachowka geflüchtet ist, dass ihre Lieben in Sicherheit sind und am Leben bleiben.

«Der Schrecken hat angefangen, als ich von der Explosion aufwachte. Ich schaute aus dem Fenster und sah einen Lichtschein. Mein Mann und ich beschlossen zu fliehen, aber es war bereits zu spät. Einige Familien, hatten bereits versucht, das Haus zu verlassen, und keinen Erfolg gehabt. Aber nachdem wir drei Monate lang unter der Besatzung gelebt hatten, wurde uns klar, dass wir so nicht weiterleben konnten, und wir beschlossen, das Risiko einzugehen», sagt Nadiia.

Sie ist froh, dass ihrer Familie die Flucht gelungen ist. Bereuen tut sie ihre Entscheidung nicht, denn die Lage in Kachowka ist jetzt noch schlimmer als zu Beginn des Konflikts. «Alle meine Freunde sind geflohen, aber ich weiss [über die Situation in Kachowka] Bescheid, weil meine Mutter dort geblieben ist. Ich habe versucht, meine Mutter davon zu überzeugen, dass es gefährlich ist, dort zu bleiben, aber sie will das Haus nicht verlassen. Sogar gestern habe ich mit ihr telefoniert, und sie erzählte mir, dass eine Rakete das Haus ihres Nachbarn getroffen hat. Aber das hält meine Mutter nicht davon ab, zu bleiben, und sie will immer noch zu Hause sein», erklärt Nadiia.

Nadiias Familie fühlt sich in Lanivtsi sehr wohl. «Hier ist es ruhig und ich fühle mich sicher. Ich mache mir keine Sorgen um meine Töchter, ausserdem habe ich neue Freunde gefunden. Jetzt träume ich davon, dass alle meine Lieben überleben. Auch wenn wir im Moment nicht zusammen sind, ist das kein Problem. Das Wichtigste ist, dass alle in Sicherheit sind und am Leben bleiben», sagt Nadiia mit einem Lächeln im Gesicht.

NFI kits for IDPs are in the bus in Lanivtsi, where the team provided distributions. 

Eine Busladung voller Hygienesets für Binnenvertriebene. Das Medair-Team hat am 12. Januar 2023 eine Verteilungsaktion in Lanivtsi, Ukraine durchgeführt.

Mit Unterstützung von All We Can und anderen Spendenden hat Medair Hygienesets in der Ukraine verteilt. Jedes Set besteht aus einem Shampoo, einer Flasche mit antiseptischer Flüssigkeit, Seife, Hygieneartikeln für Frauen, Toilettenpapier, Waschpulver, Zahnbürsten, Zahnpasta und Eimern.

NFI hygienic kits for IDPs are lying in the bus in Lanivtsi, Ukraine

Marichka, Medair`s Assistant is registering an IDP

Marichka, Programmassistentin bei Medair, kümmert sich um die Verteilung von Hygienesets für Binnenvertriebene in Lanivtsi. Die Binnenvertriebenen registrieren sich zuerst bei ihr, bevor sie vor dem Gebäude beim Medair-Bus ihr Paket mit Hygieneartikeln abholen können.

 


Die Massnahmen von Medair in der Ukraine werden von PMU, der Glückskette, CEDAR und Tearfund (NZ) finanziert.

Dieser Artikel wurde von Mitarbeitenden von Medair in den Einsatzgebieten und am internationalen Hauptsitz verfasst. Die vertretenen Ansichten sind ausschliesslich die von Medair und in keiner Weise auf offizielle Positionen anderer Hilfsorganisationen übertragbar.