Anteilnahme rettet Leben

«Menschen kommen an ihre Grenzen und ihre Situation verändert sich stündlich. Es ist wichtig, dass wir rasch für sie da sind.»
– James McDowell, Leiter des globalen Nothilfeteams

Jeden Tag müssen Familien in der Ukraine um ihr Leben und ihre Zukunft bangen. Millionen von Menschen sind aus ihrer Heimat geflüchtet. Von den fast 14 Millionen vertriebenen Menschen sind 90 Prozent Frauen und Kinder.

Die Hilfsbereitschaft für die Geflüchteten ist enorm und auch wir dürfen nicht aufhören, zu helfen. Die Krise entwickelt sich rasant, der Wiederaufbau wird Jahre dauern. Lokale Organisationen und Freiwillige tun, was sie können, aber auch sie sind häufig überfordert. Wir leisten vor Ort Nothilfe für die Vertriebenen und aufnehmende Gastemeinschaften.

Medair hat über 30 Jahre Erfahrung in der Reaktion auf konfliktbezogene Krisen wie diese. Unser globales Nothilfeteam handelt. Sind Sie dabei?

Dinge, die Sie wissen sollten

Wir sprechen von einer humanitären Katastrophe in der Ukraine. Wie ist die aktuelle Lage?

Bislang sind fast 14 Millionen Menschen aus ihrem Zuhause geflüchtet. Einige sind in Nachbarländer gegangen. Viele haben aber auch innerhalb der Ukraine Zuflucht gesucht. Die Menschen strömen weiterhin von Ost nach West durch die Ukraine – die lokalen Kapazitäten sind überfordert.

In dieser Krise müssen wir uns auf die sich ändernden Bedürfnisse einstellen – die Menschen brauchen Unterkünfte, Zugang zu medizinischer Versorgung und haben traumatische Erlebnisse hinter sich. Viele der vertriebenen Menschen suchen Schutz in überfüllten Räumen mit begrenzten sanitären Einrichtungen. Der Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen ist unterbrochen und in einigen Gebieten gehen die Medikamentenvorräte zur Neige. Lieferketten funktionieren nicht immer. Vertriebene Menschen sind einem höheren Risiko für Menschenhandel und Ausbeutung ausgesetzt. In der gesamten Ukraine beeinträchtigt die beschädigte Infrastruktur die Versorgung der vom Konflikt betroffenen Familien mit sauberem Wasser, Treibstoff und Strom.

Was tut Medair?

Unser globales Nothilfeteam ist Anfang März in Polen eingetroffen, als die ersten Tausenden von Geflüchteten über die Grenze kamen. Wir unterstützen vier Aufnahmezentren für Geflüchtete in Polen, stärken die Bemühungen von Freiwilligeninitiativen und sorgen für den Schutz von Geflüchteten vor Menschenhandel und Ausbeutung. Wir helfen Familien, die Geflüchtete bei sich zu Hause aufnehmen und schulen Freiwillige in psychologischer Erster Hilfe.

In der Ukraine haben wir Teams in sieben Städten. Sie sorgen für funktionierende Lieferketten und unterstützen Gemeinschaften, die Menschen aus den Konfliktgebieten aufnehmen. Die ukrainischen Teams ermitteln nicht nur den Bedarf an lebenswichtigen Hilfsgütern, sondern evaluieren auch zivile Infrastrukturen wie Krankenhäuser und Wassersysteme. Wo lokale Märkte noch funktionieren, stellen wir vorzugsweise Bargeldhilfe bereit.

Medair bietet psychosoziale Unterstützung an und schult Mitarbeitende und Freiwillige in psychologischer Erster Hilfe.

Wie sieht die Nothilfe im Moment aus?

Unsere Zusammenarbeit mit lokalen Partnerorganisationen ist entscheidend, denn die lokalen Gemeinschaften leisten die eigentliche Ersthilfe, und wir stabilisieren, erhalten und standardisieren die Hilfe für die Geflüchteten. Der Bedarf an Unterstützung und Stabilisierung der Freiwilligeninitiativen in den Aufnahmezentren ist immens. Der enorme Einsatz von Freiwilligen in Polen und die sich ständig ändernde Situation in der Ukraine erfordern Zeit zur Koordination. Wir haben einen guten Ruf bei unseren lokalen Partnerorganisationen und Gemeindeverwaltungen. Diesen Ruf haben wir uns dank der engen Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen erarbeitet und indem wir ihnen unsere Expertise beratend zur Verfügung stellen.

Was braucht es sonst noch?

Lebensrettende Hilfsgüter werden dringend benötigt, doch es fehlt an einer funktionierenden Logistik. Genauso wichtig wie die Mittelbeschaffung sind die Versorgungsketten. Bei einer Notlage müssen Einsatzkräfte genau wissen, was wie zu tun ist. Professionelle humanitäre Organisationen haben standardisierte Arbeitsawege, Entscheidungsprozesse und geschulte Mitarbeitende, die kurzfristig eingesetzt werden können. Mit Geldmitteln zu unterstützen, ist häufig wirksamer, als Pakete zum Einsatzort zu schicken. Durch ein professionelles Logistikmanagement können wir so mehr Leben retten.

Ist die Hilfe aus der Ferne möglich?

Am wirksamsten ist jetzt die finanzielle Unterstützung von Nothilfeorganisationen, denn sie haben die technische und logistische Erfahrung und wissen, worauf es ankommt. Diese Organisationen analysieren den Bedarf und reagieren entsprechend. Medair hat 30 Jahre Erfahrung in der humanitären Nothilfe für von Konflikten und Naturkatastrophen Betroffene. Wir kennen die Bedürfnisse von Menschen, die alles verloren haben.

Was brauche die Menschen als erstes?

Die Menschen, die an der Grenze ankommen, brauchen praktische Unterstützung, z. B. in Form von Lebensmitteln, Unterkünften und medizinischen Diensten. Dabei darf das Trauma, das sie erlebt haben, nicht vergessen werden. Viele mussten aus ihren Häusern fliehen, wurden von Angehörigen getrennt und haben lange und gefährliche Wege hinter sich. Das hat enorme Auswirkungen auf ihre psychische Gesundheit. Das grösste Bedürfnis der Neuankommenden aus der Ukraine ist die Bewältigung von Stress. In Polen schult Medair Freiwillige aus der Gemeinschaft, die in Aufnahmezentren für Geflüchtete arbeiten, in psychologischer Erster Hilfe. In der Ukraine bietet Medair Online-Betreuung für psychosoziale Fachkräfte und Fernschulungen zum Aufbau lokaler Kapazitäten für die traumasensible Unterstützung.

Wie ist die Stimmung? Haben die Betroffenen eine Perspektive für die Zukunft?

Die Zukunftsperspektiven sind schwer zu beurteilen. Niemand kann vorhersagen, wie lange der Konflikt noch andauern wird. Viele hoffen auf eine baldige Rückkehr in ihre Heimat. Wir sorgen vor Ort dafür, dass die Menschen das Wichtigste erhalten und dass diese Unterstützung nachhaltig ist.

Weitere Anmerkungen

Medair arbeitet in mehreren am stärksten von Krisen betroffenen Regionen auf der ganzen Welt und die Not in anderen Ländern darf nicht vergessen werden. Der Internationale Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung der Vereinten Nationen (IFAD) berichtet von bereits spürbaren erhöhten Lebensmittelpreisen und einer Verknappung von Feldfrüchten im Nahen Osten und in Nordafrika. Am Horn von Afrika herrscht eine katastrophale Dürre und Hungerkrise. Vierzig Prozent des Weizens und Mais aus der Ukraine werden in den Nahen Osten und nach Afrika exportiert. Der Konflikt hat die Versorgung und den Zugang zu den Häfen für den Transport des Getreides beeinträchtigt.

Im Bericht wird der Libanon besonders hervorgehoben: «22 Prozent der Familien im Libanon leiden unter Nahrungsmittelknappheit. Preiserhöhungen werden die ohnehin schon verzweifelte Lage noch verschärfen. Das Land importiert bis zu 80 Prozent seines Weizens aus Russland und der Ukraine. Bei der Explosion im Hafen von Beirut 2020 wurde das wichtigste Getreidesilo zerstört. Daher kann der Libanon jeweils nur die Erträge eines Monats lagern.»

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