Geschichten

Zyklon Batsirai: «Wir hatten Glück im Unglück»

Der 12-jährige Christian freut sich über die positiven Veränderungen seit dem Wirbelsturm im Jahr 2022

Es ist ein typischer Vormittag in einer Schule in einem kleinen Dorf an der Ostküste von Madagaskar. Eine Gruppe Kinder hat sich vor dem Gebäude versammelt, die meisten von ihnen in braune Schuluniformen gekleidet. In der Distanz liegen Reisfelder und ein Hügel. Ein Junge, der 12-jährige Christian, führt enthusiastisch einen Morgengruss an, bevor der Vormittagsunterricht zu Ende geht.
Nach dem Morgengruss geht der junge Schüler zu einem mit Bambus umzäunten weiss gestrichenen Toilettengebäude aus Beton. Hinter jeder der drei blauen Türen befindet sich eine Toilette. Dieses neue Gebäude wurde von Medair nach den Zerstörungen durch den Zyklon Batsirai errichtet.
Auf den ersten Blick sieht man keine Spuren der Verwüstung durch den Zyklon, der vergangenes Jahr das Dorf traf. Doch bei näherer Betrachtung fällt einem auf, dass das direkt neben der neuen Toilette stehende alte Toilettenhäuschen mit verriegelten Holztüren kein Dach mehr hat.
Christian ist Überlebender des Zyklons. Er erinnert sich, wie er sich fühlte, als das Unglück das Dorf heimsuchte. «Ich hatte Angst, weil unser Dach durch den starken Regen zerstört worden war. Wir waren vom Regen komplett durchnässt. Da entschieden sich meine Mutter, meine schwangere ältere Schwester und ich zusammen mit unseren Nachbarn in eine Notunterkunft zu laufen. Die Nacht verbrachten wir in einem provisorischen Evakuierungszentrum.» Am Morgen nach dem Zyklon, berichtet uns Christian, seien er und seine verwitwete Mutter zu ihrem beschädigten Haus zurückgekehrt, um zu retten, was sie noch bergen konnten.
Christian besucht die sechste Klasse der Dorfschule. «Nachdem wir in unserem Haus etwas aufgeräumt hatten, gingen meine Freunde und ich zu unserer Schule. Die Dächer von unserem Klassenzimmer und von der Toilette lagen auf der Erde. Die riesigen Äste von diesem Baum,» er zeigt auf einen riesigen Baum zu seiner Rechten, «waren abgebrochen und lagen auf dem Boden verstreut», erzählt er.
Zuletzt fügt er ganz ehrlich hinzu: «Aber wegen des Zyklons haben wir jetzt eine neue Toilette», woraufhin die anderen Schuldkinder und sein gleichaltriger Freund Erik lachen.

Der 12-jährige Christian putzt die Schultoilette. Er betrachtet den Zyklon Batsirai als Glück im Unglück. Laut Christian hätte er ohne die Verwüstung durch den Zyklon nie die Gelegenheit gehabt, eine ordentliche Toilette aus Beton zu benutzen. Medair hat in Christians Schule eine dreitürige Toilette gebaut.

Die Schule von Christian ist eine von acht Schulen, die von Medair mit Latrinen ausgestattet wurden. Christian und Erik sind zwei der über 4 500 Schulkinder, die jetzt neue Toiletten in der Schule haben.
«Ich benutze die Toilette gerne, weil wir zu Hause keine haben», fügt Christian hinzu. Auf die Frage, wohin sie gehen, wenn sie zu Hause auf Toilette müssen, sagt er leise und schüchtern: «In den Wald bei unserem Haus.»
Christian und Erik begleiten das Medair-Team auf ihrer Besichtigung des soeben genannten Waldes.

Christian und sein Freund Erik gehen auf einem schmalen Weg zu einem kleinen Wald, in dem die Dorfbewohner ihre Notdurft verrichten.

Nach etwa 10 Minuten Fussweg entlang Holzhäusern erreichen sie eine freie Lichtung. Christian zeigt auf ein Wäldchen voller alter Bananenbäume und Gräser.
Ihm zufolge nutzen die meisten Menschen in der Nachbarschaft den Wald, wenn sie keine Toiletten haben. Er führt das Team näher an den Wald heran und hält sich dabei die Nase mit seinem T-Shirt zu, während Erik den Atem anhält, um den unangenehmen Geruch nicht ertragen zu müssen. Der Wald grenzt an einen bräunlich gefärbten Bach.

Erik und Christian kommen aus einem Stück Wald, wo sie ausserhalb der Schulstunden ihren Toilettengang verrichten. So machen es die meisten Dorfbewohner, denn in ihren Häusern haben sie keinen Zugang zu einer Toilette.

Für Christian und Erik sind die neu gebauten Toiletten eine Erlösung, denn sie müssen nicht mehr mitten im Unterricht in den Wald laufen, um ihre Notdurft zu verrichten. «Mit der neuen Toilette haben wir es uns auch angewöhnt, uns regelmässig die Hände zu waschen, besonders nach dem Toilettengang», ergänzt Christian.

Die alte Schultoilette (rechts) wurde durch die starken Stürme und Regenfälle des Zyklons Batsirai zerstört. Die neu errichtete dreitürige Toilette (links) aus Beton wurde von Medair mit finanzieller Unterstützung von UNICEF gebaut.

 


 Am 5. Februar 2022 traf der Zyklon Batsirai auf das Dorf, in dem Christian und Erik leben. Gegen fünf Uhr nachmittags war er in der Nähe der südöstlich gelegenen Stadt Mananjary, 530 km von der Hauptstadt Antananarivo entfernt, auf Land getroffen.
Nach Angaben des Amtes der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (Office for the Coordination of Humanitarian Affairs, OCHA) suchten mehr als 62 000 Menschen vorübergehend Zuflucht in Evakuierungsunterkünften, und mindestens 121 Menschen kamen durch den Zyklon ums Leben.
Medair sanierte Wasserstellen, baute Hauslatrinen, stellte Hygienesets zur Verfügung und klärte die betroffenen Menschen über sinnvolle Hygienemassnahmen auf.
Die Wiederaufbaumassnahmen von Medair in Madagaskar werden durch das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) finanziert.

Dieser Artikel wurde von Mitarbeitenden von Medair in den Einsatzgebieten und am internationalen Hauptsitz verfasst. Die vertretenen Ansichten sind ausschliesslich die von Medair und in keiner Weise auf offizielle Positionen anderer Hilfsorganisationen übertragbar.

 

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