Geschichten

Wenn Mütter die Führung übernehmen

«Wegen des Konflikts musste ich mein Heimatdorf verlassen und lebe jetzt hier in Leer», erklärt uns Angelina, als wir sie in ihrem neuen Zuhause besuchen. Es ist ein kleines Tukul, wie die traditionellen Lehmhütten hier genannt werden, in dem sie mit ihren vier Kindern lebt. Drei Personen müssen auf dem Boden schlafen – keine Seltenheit im Südsudan.

Seit fünf Jahren arbeitet Angelina ehrenamtlich in der Aktionsgruppe von Medair. Mehr als 500 lokale Frauen wie sie sind mit dabei. Medair ist eine von nur zwei NGOs im Land, die ein solches Programm aufgesetzt haben. Und die sogenannten Lead Mothers (dt. Führungsmütter) sind das Herzstück der Gruppe. «Als das Medair-Team in meine Gemeinschaft kam, um die Aktionsgruppe zu gründen, wurde ich von meinen Nachbarn zu einer Lead Mother ernannt», erinnert sich Angelina stolz mit einem Lächeln.

Seither wird sie regelmässig für die Verbreitung von gesundheitsbezogenen Informationen geschult. «Ich werde in Bereichen wie Hygiene, Ernährung und Traumabehandlung unterrichtet. Mein Wissen gebe ich dann in Gruppenstunden an meine Nachbarn weiter und verbreite es in der Gemeinde. Wir haben immer gute Gespräche und ich sehe, wie sehr die Menschen an diesen Themen interessiert ist.»

South Sudanese woman with red hat smiling

Angelina wurde vor fünf Jahren von ihren Nachbarn zur Lead Mother gewählt. Nachdem sie aufgrund von Konflikt aus ihrer Heimat fliehen musste, fand sie in Leer ein neues Zuhause. © Medair/Stefan Kewitz

Ihre Nachbarin und Freundin Theresa kommt regelmässig zu Angelinas Kursen. «Ich wusste lange Zeit nicht viel über Hygiene oder gesunde Ernährung und bin sehr dankbar für deine Arbeit», freut sich Theresa und fügt hinzu: «Ich finde es besonders wichtig, dass junge Frauen von dir lernen, wie sie ihre Babys nach der Geburt richtig stillen. Jetzt weiss ich, dass viele hier es nicht richtig gemacht haben, und ich kann auch helfen.»

Besonders freut sich Angelina über die nachhaltige Wirkung ihrer Arbeit als Lead Mother, und darüber, wie sehr sich ihr Einsatz für die Gemeinschaft lohnt. «Immer mehr Kinder wissen durch uns schon in jungen Jahren, wann und wie sie sich richtig die Hände waschen, und können so Krankheiten vorbeugen.»

Humanitarian Aid Worker shares health messages with women in South Sudan.

Die Medair-Beauftragten für die Förderung von Verhaltensänderung teilen Informationen mit den Lead Mothers. Diese verbreiten diese Botschaften dann in ihrer Nachbarschaft. © Medair/Stefan Kewitz

Medair klärt die Lead Mothers auch über psychosoziale Betreuung auf. Wie Angelina haben viele von ihnen infolge des andauernden Konflikts im Lande selbst traumatische Erfahrungen gemacht. «Ich wurde mit vorgehaltener Waffe aus meinem Dorf vertrieben und rannte um mein Leben», erinnert sich Angelina mit Grauen. «Nach drei Stunden kam ich endlich in Leer an und wurde aufgenommen.» Aber für die engagierten Frauen in der Gemeinde bleibt es gefährlich. «Ich sammle Feuerholz und verkaufe es auf dem Markt, damit ich Geld bekomme und meine Kinder ernähren kann. Aber es gibt immer wieder Überfälle von Dieben. Die Arbeit ist gefährlich, aber damit muss ich zurechtkommen», erklärt Angelina.

Women in South Sudan sitting on the ground listening to a humanitarian aid worker.

Angelina und die anderen Lead Mothers hören sich die Erklärungen der Beauftragten für die Förderung von Verhaltensänderung aufmerksam an. © Medair/Stefan Kewitz

Insgesamt ruht eine grosse Verantwortung auf den Schultern der Frauen. Während die meisten Männer durch den anhaltenden Konflikt arbeitslos geworden sind, sind es die Frauen, die neben der Hausarbeit und der Kindererziehung entschlossen daran arbeiten, die Gesundheit der Gemeinschaftsmitglieder durch ihr Engagement in den Aktionsgruppen zu verbessern und zu stärken.

«Ich hoffe, dass der Konflikt schnell endet und wir uns mit Hilfe von NGOs wie Medair bald wieder ein besseres Leben aufbauen können», wünscht sich Angelina.

 


Die Arbeit von Medair in Leer wird von UKaid und USAID gefördert.

Dieser Artikel wurde von Mitarbeitenden von Medair in den Einsatzgebieten und am internationalen Hauptsitz verfasst. Die vertretenen Ansichten sind ausschliesslich die von Medair und in keiner Weise auf offizielle Positionen anderer Hilfsorganisationen übertragbar.

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