Geschichten

Vainqueur muss leben!

©Daniel WAKANDU. Aline und ihre Familie vor ihrem Zelt im Lager für Binnenvertriebene in Bushagara

Es ist Mitternacht, als der schreckliche Lärm von Waffen und Bomben das Dorf Rugari erreicht, in dem die 25-jährige Aline Sadiki lebt. Sie erwartet ihr drittes Kind, ihr ältester Sohn Vainqueur ist drei Jahre alt.  In dieser einen Nacht verändert sich ihr Leben von Grund auf. Zunächst ist Aline hin- und hergerissen zwischen der Entscheidung zu fliehen, um ihre Familie in Sicherheit zu bringen, oder zu bleiben und auf Frieden zu hoffen:  

«Dieser Krieg wird mein Dorf nicht erreichen, sie werden sicherlich in den Nachbardörfern bleiben. Ich werde sehen, wie sich die Dinge entwickeln,» denkt sie sich. Doch am frühen Morgen erreichen die Kämpfe schliesslich Rugari. Aline begreift, dass dieser Konflikt ihr nichts schenken wird und dass er einer Frau, die kurz vor der Geburt steht und in Sicherheit entbinden muss, keinen Waffenstillstand gewähren wird.  

Da wusste Aline: «Ich musste fliehen, ich hatte keine Wahl. Ich hatte Angst, das Kind in meinem Bauch zu verlieren. Und als ich in die unschuldigen Gesichter meiner Kinder sah, die bereits auf der Welt waren, wusste ich, dass ich sie beschützen musste. Das Kind in meinem Bauch musste wohl noch ein wenig warten.» 

Um die 30 Kilometer musste Alines Familie zu Fuss zurücklegen, um das Vertriebenenlager Kanyaruchinya im Gebiet Nyiragongo am Rande der Stadt Goma zu erreichen.  

 «Der Weg war nicht einfach, mehrere Menschen haben Familienmitglieder verloren. Wir hatten nichts von Zuhause mitgenommen, nur die Kleidung, die wir am Leib hatten. Mir war egal, ob es regnete oder kalt war. Nichts war wichtiger, als mein Leben zu retten und meine Kinder zu beschützen. Ich band sie mit einem Seil an meiner Hüfte fest, um sicherzugehen, dass ich sie nicht verliere», erinnert Aline sich. 

©Daniel WAKANDU. Vainqueurs zuversichtlicher Blick vor seinem Zuhause im Vertriebenenlager Bushagara

Im Lager für Binnenvertriebene angekommen, kann Aline schliesslich in einem Gesundheitszentrum in der Nähe von Kanyaruchinya entbinden. Sie kann etwas zu Atem kommen und glaubt, ausser Gefahr zu sein. Mit ihrer Familie lässt sie sich am Rande von Kanyaruchinya, im Vertriebenenlager Bushagara, nieder, welches für die Aufnahme von rund 15 000 Menschen gebaut wurde. Für einen kurzen Moment findet die junge Mutter Zuflucht, unwissend dass sich ein ebenso tödlicher und unsichtbarer Feind den Weg in ihre Familie bahnt: die Cholera. Der Betroffene ist ihr dreijähriger Sohn Vainqueur. 

Aufgrund der schlechten hygienischen Bedingungen hat diese Krankheit in einigen Lagern bereits Todesopfer gefordert, wobei vor allem Kinder unter fünf Jahren gefährdet sind. Als Reaktion auf diese epidemische Notlage hat Medair eine Cholera-Behandlungsstation im Gesundheitszentrum von Bushagara in der Nähe von Nyiragongo eingerichtet.   

©Daniel WAKANDU. Luftbild des Vertriebenenlagers Bushagara, in dem über 15 000 Menschen beherbergt werden, und der sich darin befindenden Gesundheitseinrichtung von Medair.

«Vainqueur bekam Durchfall, er wurde so schwach, und ich sah, wie sich seine kleinen Augen schlossen. Ich hatte grosse Angst. Mein Kind lag im Sterben. Jemand hatte mir vom Medair-Spital erzählt, wo die Behandlung kostenlos ist. Wir hatten erst versucht, ihn mit Kräutern zu behandeln, wie es bei uns üblich ist. Ich dachte, er hätte nur etwas Falsches gegessen. Aber schliesslich sagte ich mir, ‘Vainqueur muss leben!’ Also ging ich zu Medair.» 

Aline schaffte es, den kleinen Vainqueur rechtzeitig zum medizinischen Team von Medair zu bringen, das im Zentrum des Lagers angesiedelt ist und rund um die Uhr arbeitet. Seit seiner Einrichtung im Januar 2023 haben die dort lebenden Menschen kostenfreien Zugang zu einer medizinischen Grundversorgung. Die Mitarbeitenden von Medair konnten bis heute über 2100 Patienten behandeln, darunter 614 Kinder unter fünf Jahren. Zudem haben sie die Geburt von  fünf Kindern begleitet. Der Zugang zu medizinischer Versorgung inklusive einer Versorgungsstation für Cholera-Erkrankte hat den Standort Bushagara zu einem lebenswerteren Ort für seine Bewohnenden gemacht.  

«Ich bin dankbar für das, was Medair für meinen Sohn Vainqueur getan hat; heute sehe ich ihn lächeln und bin sehr glücklich, dass er gesund aufwachsen kann. In der Klinik von Medair haben wir von den Ärzten nicht nur die notwendige Behandlung erhalten, wir haben auch jeden Tag etwas zu essen bekommen. Dadurch hat sich Vainqueur noch besser erholt. Als wir das Spital verliessen, gab mir Medair Waschschüsseln, Seife und alles, was ich brauchte, um mich um meine Familie zu kümmern und mein Haus sauber zu halten», fügt Aline hinzu.  

©Daniel WAKANDU. Eine glückliche Familie: Aline in ihrem Zelt, fröhlich mit ihren Kindern. Der gesunde Vainqueur neckt seine kleine Schwester, die mitten im Konflikt geboren wurde.

«Wenn ich meinen Sohn Vainqueur sehe, wünsche ich mir, dass er eines Tages ein grossartiger Arzt wird,» lacht Aline. «Vielleicht auch ein Abgeordneter, aber auf jeden Fall möchte ich, dass er jemand Wichtiges wird. Das ist mein Traum für ihn.» 

Unsere Medair-Teams sind tagein und tagaus im Einsatz, um auf den Gesundheitsnotstand zu reagieren und den Binnenvertriebenen im Lager Bushagara eine kostenlose medizinische Versorgung zu ermöglichen. Die medizinische Unterstützung ist für diese vulnerablen Gemeinschaften essentiell. Über 600 000 Menschen sind durch den bewaffneten Konflikt im Land zur Flucht aus ihren Dörfern gezwungen worden. 

©Daniel WAKANDU. Vainqueur lächelt wieder und seine Mutter freut sich, dass er die Möglichkeit hat, gesund aufzuwachsen. Ihr Traum ist, dass er eines Tages jemand Wichtiges wird – vielleicht ja sogar ein grossartiger Arzt!

In dem von Medair eingerichteten Gesundheitszentrum werden täglich durchschnittlich zwei Cholerafälle behandelt, welche mehrheitlich Kinder treffen. Seit Februar steigt auch die Zahl der Masernfälle im Lager Bushagara. Vor allem bei bei Kindern unter fünf Jahren breitet sich die Krankheit schnell aus. Die Medair-Teams mussten ihren Einsatz verdoppeln, um auf diese Welle adäquat reagieren zu können. Die Entschlossenheit der Teams im Kampf gegen die Epidemien, die in diesem Lager grassieren, ist stärker denn je. Denn jedes Leben zählt! 

 

 


Die Arbeit von Medair in Bushagara wird durch finanzielle Mittel von USAID-BHA, DG-ECHO, DEZA und privaten Spendern ermöglicht.  

Dieser Artikel wurde von Mitarbeitenden von Medair in den Einsatzgebieten verfasst. Die vertretenen Ansichten sind ausschliesslich die von Medair und in keiner Weise auf offizielle Positionen anderer Hilfsorganisationen übertragbar.   

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