Geschichten

Neue Herzen: Leben verändern durch Bargeldhilfe und Sanierungsarbeiten

Im Libanon droht immer mehr syrischen Geflüchteten in minderwertigen Unterkünften die Zwangsräumung, da sie nicht in der Lage sind, die steigenden Mietkosten zu zahlen. Medair sorgt durch Bargeldhilfe und Sanierungsarbeiten für würdevollere Wohnbedingungen für die betroffenen Familien.

A Syrian man stands in his home.

Khaled, 48 Jahre alt, ein syrisches Gemeindemitglied, in seinem Haus in Na’ameh, im Gouvernement des Libanongebirges, Libanon. ©Medair/Abdul Dennaoui

«Ich weiss, es ist nicht gerade ein grosses Zuhause, aber es ist unser Zuhause. Sein Zustand scheint die Herausforderungen und Schwierigkeiten unserer Situation widerzuspiegeln», sagt Khaled.

Seit 2019 hat der Libanon mit in einer sich immer weiter verschärfenden Finanzkrise, und einer der weltweit schlimmsten Finanzkrisen, zu kämpfen. Über die vergangenen vier Jahre hat das libanesische Pfund (LBP) rund 96 Prozent seines Wertes verloren, und die Inflation ist auf 249 Prozent gestiegen. Subventionskürzungen bei Grundnahrungsmitteln, Medikamenten und Treibstoff haben die Kaufkraft der Menschen stark geschwächt. Zu allem Überfluss sind auch immer mehr Familien, die in schlecht ausgestatteten Unterkünften leben, von Zwangsräumungen bedroht.

A Syrian family stands in their home.

Khaled, 48, mit seiner Familie in ihrem Haus im Libanon. Sie sind syrische Geflüchtete ©Medair/Abdul Dennaoui

Khaled, 48 Jahre alt, ist syrischer Geflüchteter und lebt mit seiner Frau und fünf Kindern in Na’ameh, in der Nähe Beiruts. Aufgrund finanzieller Schwierigkeiten ist zusätzlich die vierköpfige Familie des ältesten Sohnes bei ihnen eingezogen. Als die Familie vor Jahren aus ihrer Heimat in Syrien floh, hofften sie auf Sicherheit und Stabilität im Libanon. Doch in ihrer neuen Heimat wurden sie mit einer Reihe neuer Probleme konfrontiert. Nun kämpfen sie täglich ums Überleben und bemühen sich, auch nur das Nötigste zu sichern. Jeder Tag ist ein Kampf gegen Armut und Verzweiflung.

 

Medair hat ein sogenanntes «Cash-for-Rent-» (zu Deutsch «Bargeld-für-Miete-») -projekt sowie ein Rehabilitationsprojekt lanciert, die in Zusammenarbeit mit dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) durchgeführt werden. Ziel des Projekts ist es, den verletzlichsten syrischen Haushalten bei der Verbesserung ihrer Wohnbedingungen zu helfen, sodass sie in menschenwürdigen Bedingungen leben können. Khaled sprach mit uns über die Schwierigkeiten, mit denen er und seine Familie derzeit konfrontiert sind, und wie wichtig es für ihn ist, Unterstützung zu erhalten.

Wir sind zu Besuch bei Khaled. Er beginnt zu erzählen und starrt dabei an die Wände, die einst bunt gestrichen waren und nun die Spuren abblätternder Farbe und Risse aufweisen. «Am Anfang des Konflikts habe ich keinen Moment gezögert. Sobald ich die Nachricht hörte, habe ich meine Familie sofort in den Libanon geschickt. Mein Schwager lebte bereits mit seiner Familie hier, sodass die Entscheidung für uns schon gefallen war. Er hat für meine Familie dieses Haus hier gefunden. Die Sicherheit meiner Familie war das Einzige, worum ich mich sorgte.»

Khaled blieb alleine in Syrien zurück. «Ich hatte einen respektablen Job, also machte ich so lange ich konnte weiter, und schickte alles, was ich konnte, in den Libanon, um meine Familie zu ernähren. Aber dann verschlechterte sich die Situation. Es wurde unerträglich, zu bleiben. Mir wurde klar, dass ich zu viel riskierte, und ich hatte immer noch meine Familie, für die ich leben wollte. Also warf ich einen letzten Blick auf meine Heimat in Syrien und schaute nie wieder zurück.»

So kam auch Khaled in den Libanon, wiedervereint mit seiner Frau und seinen Kindern. Für das Haus, in dem sie leben, ist er sehr dankbar. «Es hat meiner Familie Schutz und Sicherheit geboten. Ich weiss, es ist kein grosses Zuhause, aber es ist unser Zuhause. Sein Zustand scheint die Herausforderungen und Schwierigkeiten unserer Situation widerzuspiegeln. Das Gebäude ist abgenutzt und hat schon bessere Tage gesehen.»

Ein kurzer Rundgang durch das Haus bestätigt das. An den Wänden blättert die Farbe ab, und im Fundament sind massive Risse zu sehen. Die meisten Fenster sind nur noch leere, verrottete Metallrahmen ohne Glas. Im Badezimmer und in der Küche gibt es zahlreiche Lecks an der Decke, und die Wasserhähne tropfen fast ununterbrochen und bilden Wasserlachen auf dem Boden. Die ehemals stabilen Türen und Griffe haben ihre Funktion, Sicherheit und Privatsphäre zu bieten, vollständig verloren. Obwohl Khaled die Atmosphäre als beängstigend beschreibt, hat das Haus trotz seines Verfalls für ihn noch immer einen gewissen Charme. «Alles, was ich möchte, ist, dass sich meine Familie sicher und wohl fühlt», so der Familienvater.Seitenanfang

A bathroom in poor condition.

Aufgrund Lecks an der Decke und ununterbrochen tropfenden Wasserhähnen haben sich im Badezimmer Wasserlachen gebildet. ©Medair/Abdul Dennaoui

Schweigen erfüllt den Raum, während alle über die Realität von Khaleds Situation nachdenken. Kurz darauf fährt er fort: «Ich tue, was ich kann, für meine Familie, aber die Situation ist schwer zu bewältigen. Ich habe keine feste Arbeit und kann deshalb meiner Familie auch kein stabiles Einkommen bieten. Wir sind nicht in der Lage, die steigende Miete konsequent zu bezahlen und regelmässig Essen auf den Tisch zu bringen. Manchmal kommen wir tagelang ohne eine warme Mahlzeit aus. Jeden Abend gegen 20 Uhr mache ich mich auf einen Spaziergang in der Gegend. Stundenlang lasse ich meine Familie allein zu Hause, um die Abfallbehälter nach wiederverwertbarem Plastik zu durchsuchen. Manchmal komme ich erst bei Tagesanbruch nach Hause. Das ist eher ein Mittel zum Überleben, als ein substanzielles Einkommen. Es war etwas einfacher, als ich noch ein Tuk-Tuk (ein dreirädriges Fahrrad) hatte, weil ich so grosse Mengen an Plastik sammeln konnte. Aber leider wurde es gestohlen.»

Aller Schwierigkeiten zum Trotz, bleibt Khaled zuversichtlich. «Ich sage meiner Familie immer, dass wir stark bleiben müssen, egal was passiert, und dass wir gemeinsam die schwierigen Zeiten überstehen werden. Für meine Kinder ist es schwer zu verstehen, und ich mache mir Sorgen um ihre Zukunft. Wenn ich als Vater dafür sorgen kann, dass sie ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen im Magen haben, bin ich erleichtert.»

Im Rahmen des Projekts konnte Medair mit Khaleds Vermieter eine Vereinbarung treffen, wonach Khaleds Haushalt für ein Jahr von der Miete befreit wird. Über das kommende Jahr wird Medair Sanierungsarbeiten am Haus vornehmen, um Khaled und seiner Familie sichere und würdige Lebensbedingungen zu schaffen. Die Projekte von Medair im Bereich Unterkünfte spielen eine entscheidende Rolle bei der Verbesserung der Lebensbedingungen armer Gemeinschaften im Libanon, indem sie ihnen eine sichere Unterkunft und die Möglichkeit bieten, sich in Würde von Krisen zu erholen und eine bessere Zukunft aufzubauen. Bargeldinitiativen können zudem nicht nur die lokale Wirtschaft ankurbeln, sondern geben Betroffenen auch die nötige Entlastung, um sich erholen und sich auf das Nötigste konzentrieren zu können.

A humanitarian aid worker stands in a room.

Khaled, zuständig für Unterkünfte bei Medair, begutachtet die Schlafzimmerfenster des Hauses von Khaled und seiner Familie. Medair wird über das kommende Jahr das Haus sanieren, und so würdevollere Lebensbedingungen für die Familie schaffen. ©Medair/Abdul Dennaoui

 


Die Cash-for-Rent- (CfR) [«Geld-für-Miete-»] und Rehabilitationsmassnahmen von Medair in Beirut auf dem Berg Libanon werden vom Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) finanziert.

Dieser Artikel wurde von Mitarbeitenden von Medair in den Einsatzgebieten und am internationalen Hauptsitz verfasst. Die vertretenen Ansichten sind ausschliesslich die von Medair und in keiner Weise auf offizielle Positionen anderer Hilfsorganisationen übertragbar.

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