Geschichten

Heimkehrende in Syrien: Zuhause ist es am schönsten

Mehr als 60 Millionen Menschen auf der ganzen Welt sind Binnenvertriebene; darunter sind nach Angaben des IDMC (Internal Displacement Monitoring Centre) 6,7 Millionen Syrerinnen und Syrer. Nach der Ukraine gibt es in Syrien damit die weltweit meisten Binnenvertriebenen.

Binnenvertriebene sind Menschen, die zwar keine Landesgrenzen überqueren, aber gezwungen sind, aus ihren Heimatorten in andere Gegenden zu fliehen.

Die Lage ist schlimm genug für Menschen, die in ihren Häusern in Syrien bleiben konnten, doch die Menschen, die fliehen mussten, stehen vor fast unüberwindbaren Herausforderungen. Viele können kein Geld für Miete aufbringen und oft leben sechs oder mehr Familien zusammen in einer Einzimmerwohnung.

Viele haben nicht mehr als die Kleidung, mit der geflohen sind. Inzwischen ist die Lage in Syrien sicherer geworden und die Familien kehren in ihre Häuser zurück, doch häufig sind davon nur noch die Aussenmauern übrig. Trotzdem ist es für sie einfacher, in ihrem eigenen Haus zu wohnen, als Miete zu zahlen oder an einem anderen Ort ausserhalb ihrer Stadt zu leben.

Medair hat verschiedene Gebiete in Syrien besucht und dabei mit einigen Familien gesprochen, die uns von ihren Erfahrungen als Binnenvertriebene erzählt haben.

Beim Besuch in Jamilehs Haus in Aleppo.

Jamileh aus Aleppo ist Mutter von drei Kindern. Khalid hat Lernstörungen und ist motorisch eingeschränkt, Akbar ist autistisch. Jamilehs ältester Sohn arbeitet für den Lebensunterhalt der Familie als Schneider.

Das Team von Medair freute sich über die Begegnung mit Jamileh. Auch sie schätzte unseren Besuch und war gastfreundlich und zuvorkommend. Sie bestand darauf, dass wir für unsere internationalen Mitarbeitenden übersetzen, und bedachte uns mit den Worten «Abos Rohek», was so viel heisst wie «Möge deine Seele gesegnet sein».

Um zu Jamilehs Wohnung zu gelangen, musste das Team eine schmale Treppe in den vierten Stock hinaufsteigen. Der Strom war aus und die Teammitglieder benutzten zur Orientierung die Taschenlampen ihrer Handys.

Im Gegensatz zum Treppenhaus war Jamilehs Wohnung hell und sauber. Die Wände waren neu gestrichen. Alles war in einem sehr gepflegten Zustand.

Wir fragten Jamileh, wie ihre Flucht gewesen war und wie ihr Zuhause nach der Rückkehr aussah.

«Während der Krise mussten meine Kinder und ich Aleppo verlassen und anderswo Schutz suchen. Zusammen mit anderen Familien fanden wir Zuflucht in einer Moschee», sagte Jamileh.

«Zwei meiner Kinder haben Behinderungen. Unsere Situation war schon vor der Krise ernst, und die Flucht hat die Lage noch verschärft. Als wir in der Moschee waren, haben mir die anderen geholfen und sich mit um meine Kinder gekümmert. Ich habe Diabetes und leide an Rheuma. Ich kann meine Kinder nur mit Mühe tragen.»

«Ich bin vor etwa zwei Jahren in mein Zuhause zurückgekehrt. Die Wände waren voller Schimmel, und es war dunkel. Es war nichts mehr so wie vorher. Es gab keine Türen und Fenster mehr. Meine Kinder haben permanent geschrien, weil der Gestank so unerträglich war, aber wir hatten keine andere Wahl.»

«Eure Organisation hat meine Wohnung instand gesetzt, euer Team hat die Türen und Fenster eingebaut, und sie haben uns sogar mit einer Autobatterie und Lampen versorgt. Es ist nicht mehr dunkel. Der Schimmelgeruch ist weg. Meine Kinder sind nicht mehr so empfindlich.»

Iyad sitzt mit uns in seinem Friseursalon in Hjeirah im Umland von Damaskus

Während der Krise floh Iyad aus seinem Haus im ländlichen Damaskus und lebte mit seiner Familie in einem anderen Gouvernement.

Iyad ist eigentlich Friseur, aber in seinem Viertel läuft das Geschäft schleppend, also arbeitet er als Elektriker, um seine Familie zu versorgen.

«Wir mussten unser Haus in Hjeirah gleich zu Beginn der Krise verlassen. Wir sind nach Hamah geflohen und dort geblieben, bis sich die Lage wieder beruhigt hat. Zum Glück konnten wir zurückkommen», sagte Iyad.

«Wir haben unser Haus repariert und ganz von vorne angefangen, aber die Wasserversorgung in unserer Gegend funktionierte nicht mehr richtig. Es gab kein sauberes Wasser, und wir mussten regelmässig Geld für Wasser von Tanklastwagen ausgeben.»

«Eure Organisation hat meiner Familie und den anderen in diesem Viertel geholfen. Ihr habt die Wasserversorgung wieder instandgesetzt. Wir haben jetzt Wasser aus dem Wasserhahn, das macht es leichter für uns. Trotzdem leiden wir immer noch unter den regelmässigen Stromausfällen, dann kann das Wasser nicht in unser Haus gepumpt werden. Wir sind dennoch froh, dass wir zurückgekommen sind», erklärte Iyad unserem Team.

Um Ahmad im Gespräch mit unserem Team in ihrer instandgesetzten Unterkunft in Deir-ez-Zor

 

In Deir-ez-Zor kümmert sich Um Ahmad um ihre vier Enkelkinder. Sie hat in der Krise einen ihrer Söhne verloren. Der andere arbeitet für den Lebensunterhalt der Familie. Alle Gebäude rund um ihr Haus wurden beschädigt oder sind sogar eingestürzt. Nur wenige Häuser in ihrer Strasse waren noch bewohnt.

«Als sich die Lage in Deir-ez-Zor zuspitzte sind wir nach Ar-Raqqa geflohen. Aber auch dort wurde die Situation immer schlimmer, also sind wir nach Deir-ez-Zor zurück. Wir sind zwei Mal an verschiedene Orte gezogen, um uns in Sicherheit zu bringen. Wir haben ein Haus gemietet, dann wurde das Gebiet auch belagert und wir haben drei Jahre lang im Belagerungszustand gelebt», erzählte uns Um Ahmad.

«Während der Belagerung gab es kein Essen. Wir mussten alles essen, was da war, um nicht zu verhungern. Wir haben altes, hartes und verschimmeltes Brot gegessen und dreckiges Wasser getrunken. Medikamente oder Gesundheitsversorgung gab es nicht.»

Wie in ihrer Kultur üblich, beendet Um Ahmad jeden ihrer Sätze mit «Gott sei Dank». «Gott ist gut und barmherzig, alles was von Ihm kommt, ist gut, deshalb haben wir die Hoffnung nicht aufgegeben.»

Sobald sich die Lage entspannt hatte, kehrten sie und ihre Familie zurück.

«Dieses Haus gehört meiner Familie. Ich lebe seit über 60 Jahren hier. Wir mussten einfach zurückkommen.»

Seit 2021 sind über einhunderttausend Binnenvertriebene in ihre Heimatorte zurückgekehrt. Die Zahl nimmt weiter zu, also muss etwas getan werden, damit diese Familien wieder zu Hause ankommen können.

Der Zugang zu medizinischer Versorgung ist eingeschränkt, und die Wasser- und Sanitärinfrastruktur ist in schlechtem Zustand. Die Menschen können nicht an ihren alten Arbeitsplatz zurückkehren und ihre Familien versorgen. Es ist wichtig, diese Probleme zu lösen, denn nur dann müssen die Menschen nach ihrer Rückkehr nicht eine «Krise nach der Krise» durchleben.

Einst war das Leben für Menschen in Syrien normal. Sie gingen morgens zur Arbeit und kehrten abends in ihr sicheres Zuhause zurück. Während der Krise mussten sie ihre Häuser und Freunde verlassen, ohne zu wissen, wann sie zurückkehren würden.

Viele Rückkehrende haben nur begrenzten oder gar keinen Zugang zu Wasser und sanitären Einrichtungen. Oft sind ihre Häuser beschädigt und nicht mehr sicher. Die Zerstörung ist in viele Gegenden gross und der Wiederaufbau braucht Zeit. Gemäss einer UN-Statistik aus dem Jahr 2022 sind 65 % der Krankenhäuser und 56 % der Gesundheitseinrichtungen funktional. Viele Familien müssen für die medizinische Versorgung in andere Bezirke fahren.

Medair arbeitet daran, dass Rückkehrende in sicheren Wohnungen leben können und Zugang zu einer Grundversorgung mit Wasser und sanitären Einrichtungen haben. Erfahren Sie hier, wie auch Sie helfen können


Die Arbeit von Medair in Syrien wird durch den Katastrophenschutz und die humanitäre Hilfe der Europäischen Kommission, UNOCHA, die Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA), die Glückskette, SlovakAid und grosszügige private Spendende wie Sie ermöglicht.

Dieser Artikel wurde von Mitarbeitenden von Medair in den Einsatzgebieten und am internationalen Hauptsitz verfasst. Die vertretenen Ansichten sind

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