Geschichten

CEO-BLOG: Die DR Kongo darf nicht in Vergessenheit geraten

Vor Kurzem konnte ich zwei unserer humanitären Programme, in der DR Kongo und Ukraine, besuchen. Die Krisen könnten unterschiedlicher nicht sein, jedoch nur eine von beiden bestimmt unsere Schlagzeilen. Vor 20 Jahren habe ich erstmals in der DR Kongo gearbeitet und weiss aus Erfahrung, dass jährlich Tausende Leben durch Hilfsorganisationen gerettet werden. Trotzdem hat mich das, was ich vor Ort gesehen und gehört habe, zutiefst erschüttert. Wussten Sie, dass in der DR Kongo eine der schwersten Nahrungsmittelkrisen der Welt herrscht? Jeder Dritte im Land, ungefähr 27 Millionen Menschen, geht jeden Abend hungrig zu Bett.

Diese Zahl ist schockierend, insbesondere wenn man bedenkt, wie ausserordentlich fruchtbar der Boden ist. Es gibt frisches Obst aller Arten, Gemüse, einheimischen Kaffee und köstlichen lokalen Käse. Im Ostkongo war ich überrascht vom Anblick üppiger grüner Felder, die problemlos den Bedarf der Familien hier decken könnten.

Ein Mädchen blickt auf die sie umgebenden grünen Hügel in der Provinz Ituri, DR Kongo

In der DR Kongo fehlt es nicht an Früchten und Gemüsen. Wie kommt es dennoch zu einer der weltweit schlimmsten Hungerkrisen?

Woran liegt es also? Im Osten des Landes bekämpfen sich über 120 bewaffnete Gruppierungen. Über 25 Jahre anhaltende Konflikte haben ein Klima der Angst und Unsicherheit geschaffen. Immer wieder werden Menschen aus ihrem Zuhause Heim, von ihrer Arbeit und ihren Feldern vertriebenen. Ein Unternehmen oder einen Bauernhof zu führen oder den Kindern regelmässigen Schulbesuch zu ermöglichen, ist damit unmöglich. Etwa 5,5 Millionen Menschen können nicht in ihre Häuser zurückkehren.

Entsetzliche Gewalt

Das Ausmass der Gewalt ist entsetzlich. Edira, Mutter von acht Kindern, erzählte unseren Teams: «In den vergangenen drei Jahren wurde ich immer wieder aus meinem Zuhause vertrieben. Mein Dorf wurde mehrmals angegriffen. Ich erinnere mich, wie ich beim letzten Angriff Schüsse näherkommen gehört, meine Kinder gegriffen habe und gerannt bin. Mein Mann wollte dableiben, um unser Haus zu schützen. Ich habe ihn nie wieder gesehen. Die Angreifer haben unsere Häuser niedergebrannt mitsamt allen, die noch darin waren. Mein Mann wurde getötet, genauso wie die meisten meiner Familienmitglieder und Freunde.»

Edira (vorne) vor einem von Medair unterstützten Gesundheitszentrum in der Provinz Ituri, März 2022. © Medair

Edira musste als alleinerziehende Mutter ihre Existenz an einem neuen Ort wieder aufbauen. «Ich suche Arbeit, um meine Familie über Wasser zu halten. Manchmal kann ich auf den Feldern arbeiten, die zur Gemeinschaft gehören, aber nicht regelmässig.»

Fernab der Schlagzeilen kämpft Edira wie viele andere ums Überleben. Trotz des steigenden Bedarfs sind humanitäre Hilfsmassnahmen für die DR Kongo jedes Jahr stark unterfinanziert. Laut humanitärem Hilfsplan der Vereinten Nationen 2022 benötigen dieses Jahr 27 Millionen Menschen humanitäre Hilfe – eine Zunahme von 7,4 Millionen im Vergleich zum Vorjahr.

Der Notlage in der DR Kongo muss dringend mehr Beachtung geschenkt werden.

Mehr als medizinische Hilfe

Medair arbeitet mit dem kongolesischen Gesundheitsministerium und anderen humanitären Organisationen zusammen, um für Vertriebene und die aufnehmenden Gemeinschaften überlebenswichtige Hilfe zu leisten. Die Arbeit unserer Teams vor Ort hat mich daran erinnert, dass trotz der immensen Herausforderung Hoffnung besteht.

Seit 25 Jahren arbeitet Medair in bestehenden öffentlichen Einrichtungen wie Gesundheitszentren und Spitälern, um kostenlose medizinische Versorgung zu ermöglichen. Dadurch werden lokale Systeme gestärkt und einheimische Mitarbeitende geschult. Dabei ist unser Ansatz sektorübergreifend und schliesst medizinische Grundversorgung, Ernährungstherapie für Kinder unter fünf Jahren und Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie sanitären Einrichtungen mit ein.

Beim Besuch eines unserer Gesundheitszentren habe ich Menschen kennengelernt, die zu einer Zeit, in der sie am verwundbarsten waren, bei uns Schutz gesucht haben. Eine Mutter wie Nema kann ihre Tochter Esther bei Bauchschmerzen zur Behandlung zu uns bringe. Eine Mutter wie Georgette, deren Baby Victoire Gelenkprobleme hat und den Kopf nicht selbst halten kann, erhält im Allgemeinkrankenhaus Unterstützung und kostenlose Nachuntersuchungen. Wir sorgen sogar für den Transport zur medizinischen Einrichtung. Auch eine Mutter wie Gisèle kann an solchen Orten ihre Tochter auf die Welt bringen, geborgen und im Kreise ihrer Liebsten.

In a Medair health centre a Congolese woman holds her baby girl, approximately nine months old. The baby is unable to hold her head up on her own.

Georgette hält ihre Tochter Victoire in einem von Medair unterstützten Gesundheitszentrum im Arm, April 2022. © Medair

Anlässlich meines Aufenthalts in der DR Kongo übergab mir ein Gemeindevorsteher einen handgeschriebenen Brief. Er bedankte sich bei unseren Teams für ihre Arbeit. Trotz aller Herausforderungen erinnern mich solche Momente daran, dass unser persönlicher Ansatz tatsächlich etwas bewirken kann. Dadurch wird mir auch bewusst, dass es in unserer Verantwortung liegt, auf diese von den Medien vergessenen Ereignisse aufmerksam zu machen.

Medair CEO David Verboom accepts a hand-written letter from the leader of a community in Ituri Province, DR Congo.

Das Treffen mit dem Gemeindevorsteher in der Provinz Ituri erinnert mich daran, dass wir trotz aller niederschmetternden Statistiken in der DR Kongo Gutes bewirken. © Medair

Gutes für die Menschen bewirken

Medair ist Mitglied von Integral Alliance, einer Gruppe aus weltweit tätigen NGOs, die auf vergessene Krisen aufmerksam macht und auch in der DR Kongo tätig ist. Wir haben uns mit Organisationen wie Tearfund, Zoa und World Relief zusammengeschlossen, um mehr Bewusstsein für die Situation im Kongo zu schaffen und finanzielle Unterstützung zu erhalten.

Von so vielen Notlagen weltweit zu hören, kann hoffnungslos stimmen. Denken Sie aber daran, wie wir alle für die Ukraine zusammengestanden haben. Das schenkt Hoffnung. Ich hoffe, dass auch Sie die Menschen im Kongo unterstützen, sei es im Gebet, über finanzielle Beiträge oder indem Sie in Ihrer Familie, Ihrer Kirchgemeinde oder Ihrem Umfeld auf die Lage aufmerksam machen. So können wir mehr Menschen zum Handeln ermutigen.

 

Vor allem aber wünsche ich mir, dass Sie mit uns für Frieden in der DR Kongo beten, damit Familien wieder Hoffnung auf eine sichere und bessere Zukunft haben. Danach sehnen sie sich, wie uns Edira erzählt: «Wir möchten wieder nach Hause. Ich möchte zurück auf meine Felder. Mit Gebeten und Gottes Hilfe wird das möglich.»


Dieser Artikel wurde von Mitarbeitenden von Medair in den Einsatzgebieten und am internationalen Hauptsitz verfasst. Die vertretenen Ansichten sind ausschliesslich die von Medair und in keiner Weise auf offizielle Positionen anderer Hilfsorganisationen übertragbar.

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