Geschichten

Weltflüchtlingstag: Achtung der Menschenwürde

Unsere Kollegin Fatima erzählt, was für sie und ihre Familie auf der Flucht aus Syrien das Wichtigste war.

Jedes Jahr am 20. Juni würdigen wir zum Anlass des internationalen Weltflüchtlingstags den Mut und die Entschlossenheit von Geflüchteten und berichten über die Erfahrungen, die Menschen bei der Vertreibung machen. In diesem Jahr möchten wir Ihnen Fatima, unsere Mitarbeiterin im Libanon, vorstellen. Fatima ist eine syrische Geflüchtete und gleichzeitig Mutter, Tochter und engagiertes Mitglied unseres Teams.

Die Summe der Krisen im Libanon lastet besonders schwer auf den Schultern von Geflüchteten und den ärmsten Familien im Land. Zu den Krisen gehört die gewaltige Explosion im Hafen von Beirut 2020, der wirtschaftliche und politische Zusammenbruch im Land und die Covid-19-Pandemie. Viele Familien sind nicht mehr in der Lage, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Trotzdem geben viele und auch Fatima die Hoffnung nicht auf.

 

«Die dunkelsten Nächte bringen die hellsten Sterne hervor.» – Fatima

 

Vor acht Jahren musste Fatima, 30, mit ihrer Familie aus Syrien flüchten. Sie lebt nun in der Gegend von Bar Elias, im Libanon. Obwohl die schwerste Zeit hinter ihr liegt, denkt sie oft an ihr Leben in Syrien und was es bedeutet, als Geflüchtete mit einer internationalen Organisation zusammenzuarbeiten und die Menschen in ihrer Umgebung zu unterstützen.

«Unsere Flucht ist nunmehr fast acht Jahre her. Ich kann es kaum fassen, wie lange es her ist, dass ich Syrien verlassen musste. Die Erinnerung an mein schönes Zuhause in Idlib ist das Einzige, was mich zum Lächeln bringen kann. Ein Zuhause, das meine Tochter vielleicht nie kennenlernen wird. Wenn wir noch dort wären, würden wir zusammen jetzt auf einem pastellgrünen Sofa sitzen und auf die wunderschöne Landschaft schauen. Ich würde Euch aus einer handgefertigten Teekanne Matetee einschenken. Ich erinnere mich noch gut an meine Teekanne. Ich liebe Tee, und das war meine Lieblingskanne. Syrien ist meine Heimat und mein Land. So wird es immer bleiben. Oh, die vielen Erinnerungen», seufzt Fatima.

Anschliessend fährt sie fort: «Wir hatten Würde. Nicht, dass wir jetzt keine haben, denn das haben wir. Aber wenn man anderen erzählt, wer man ist und wo man herkommt, verändert sich bei einigen der Gesichtsausdruck. Man wird schnell in eine Schublade gesteckt und viele haben Vorurteile. Nicht nur, weil ich eine Frau, sondern auch, weil ich eine Geflüchtete bin. Ich bin eine gebildete Frau. Ich kann lesen und schreiben», sagt sie selbstbewusst.

«Früher hat es mich gestört, aber ich lasse es nun nicht mehr an mich heran. Mein verstorbener Vater hat immer gesagt, dass die dunkelsten Nächte die hellsten Sterne hervorbringen. Ich verbinde so viele gute Erinnerungen mit seiner Stimme. Deshalb denke ich jedes Mal, wenn es einmal schwierig wird, an seine Worte. Es waren die letzten Worte, die er vor acht Jahren zu mir gesagt hat. An dem Tag als wir aus Syrien geflohen sind, habe ich mir immer wieder gesagt, dass ich jedes Hindernis auf meinem Weg überwinden werde. Tag und Nacht habe ich Gott gebeten, mir die Kraft zum Weitermachen zu geben und mir zu helfen, etwas aus mir zu machen.» Tränen treten Fatima in die Augen.

Fatima hatte sich vor der Syrien-Krise vorgenommen, eine juristische Karriere einzuschlagen. Auch nach der Flucht hat sie ihren Ehrgeiz nie verloren. «Etwas brennt glaube ich unauslöschlich in mir. Dass ich meine Ausbildung nicht fortsetzen konnte, war nicht das Ende der Welt. So einfach gebe ich nicht auf. Ich wollte etwas Sinnvolles mit meinem Leben anfangen. Ich wusste nur noch nicht, was.»

Sie fährt fort: «Es war hier in Bar Elias, als sich eine einmalige Gelegenheit für mich auftat. Man fragte mich, ob ich an einer Brandschutzschulung teilnehmen wolle. Anfangs habe ich zwar gezögert, aber im Nachhinein bin ich sehr froh, dass ich zugestimmt habe. Meine Gebete sind erhört worden. Jetzt arbeite ich als Verantwortliche für Unterkunftsmaterialien (SFP) bei Medair. In dieser Funktion treffe ich viele Menschen, die dasselbe Leid wie ich erfahren haben – Menschen, die aus ihrer Heimat geflohen sind und geliebte Menschen zurücklassen mussten, um ein neues Leben zu beginnen. Das Wichtigste für mich ist der persönliche Kontakt zu meiner Gemeinschaft und die Möglichkeit, Schulungen zu wichtigen Themen wie Brandschutz, Bedarfsanalysen und so weiter anzubieten. Wenn ich an die Zukunft denke, ist mir eins klar: Ich will, dass meine Tochter ein besseres Leben hat. Alles, was ich tue, ist für sie. Auch wenn das hier momentan unsere Realität ist, möchte ich, dass sie mit Hoffnung und Träumen aufwächst. Ich möchte vor allem, dass sie ein engagierter Mensch mit Ambitionen wird», sagt Fatima und lächelt dabei.

Fatima ist stolz darauf, weiterhin als SFP in den informellen Siedlungen in der Gegend von Bar Elias im Bekaa-Tal zu arbeiten. Gemäss Fatima ist der Bedarf der Menschen in ihrer Gemeinschaft immens. Deshalb möchte sie auch weiterhin Unterstützung leisten. Ihren Traum, eines Tages nach Idlib zurückzukehren, gibt sie trotz allem nicht auf.

Am Ende des Gesprächs mit Fatima stellen wir ihr eine letzte Frage: Was hast du mitgenommen, an dem Tag mit, als Du aus Syrien geflüchtet bist? Fatima schaut uns selbstbewusst an und sagt: «Meine Würde.»

 

 

Die Arbeit von Medair im Libanon wird durch die Unterstützung des Hochkommissariats der Vereinten Nationen für Flüchtlinge, der Glückskette, der Medicor Foundation, des Madad-Fonds der Europäischen Union, von Global Affairs Canada in Zusammenarbeit mit Tearfund Canada und grosszügiger privater Spender ermöglicht.

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