Geschichten

Warum wir noch in Jordanien sind

Wir arbeiten seit 2012 in Jordanien und werden noch eine Weile bleiben.

Das jüngste Kind von Laylin und Wahid, Tahmid, ist erst fünf Tage alt. Tahmid schläft fest in den Armen seiner Mutter in ihrem kleinen Haus in Mafraq, Jordanien. Seine Geburt war ein freudiges Ereignis, doch nun müssen Arzt- und Spitalrechnungen bezahlt werden und die Familie ist nicht dazu in der Lage. Wie seine gesamte Familie ist Tahmid ein syrischer Geflüchteter und medizinische Dienstleistungen in Jordanien können für Geflüchtete unerschwinglich sein.

Der Anfang eines regionalen Einsatzes

Es waren Familien wie die von Laylin und Wahid, die uns 2012 erstmals nach Jordanien führten. Es war das erste Land, in dem wir begannen, auf die Krise in Syrien zu reagieren. Das Programm begann mit der Entsendung  unseres globalen Nothilfeteams im September 2012 in Amman. Ziel war es, schutzbedürftige jordanische Familien und die rund 45 000 syrischen Geflüchteten im Land zu unterstützen (UNHCR, 2021). Sie waren vor der Krise in ihrer Heimat auf dem Landweg nach Jordanien geflohen und brauchten dringend einen sicheren Platz zum Schlafen, warme Decken und medizinische Versorgung.

Neun Jahre später sind wir immer noch da. Auf den ersten Blick mag dies seltsam erscheinen, immerhin leidet Jordanien nicht unter akuter Nahrungsmittelknappheit, einer langen, komplexen humanitären Krise oder einem verheerenden Vulkanausbruch. Das Land ist für seine spektakuläre Wüstenlandschaft, die mystische Ruinenstadt Petra und das Tote Meer bekannt ist. Warum also sind wir noch dort?

Die Antwort ist einfach: der Bedarf an humanitärer Hilfe in Jordanien ist enorm.

 

 

Warum Jordanien?

In Jordanien mag keine sichtbare humanitäre Notlage herrschen, doch nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks beherbergt dieses kleine und relativ ressourcenarme Land mehr als 757 000 Geflüchtete. Die überwiegende Mehrheit von ihnen stammt aus Syrien. Andere kommen aus Ländern wie dem Sudan, Irak, Somalia und Jemen, die nach Ansicht der Vereinten Nationen nicht die Bedingungen für eine sichere Rückkehr erfüllen. So bleibt vielen dieser Familien keine andere Wahl, als in Jordanien zu bleiben.

Obwohl die Geflüchteten Zugang zum jordanischen Gesundheitssystem haben, sind wichtige Grundleistungen nach wie vor unerschwinglich. Lebensnotwendige Operationen im Spital, Gesundheitsfürsorge für Mütter, Behandlungen für nicht übertragbare Krankheiten (wie Diabetes oder Bluthochdruck) oder die medizinische Versorgung von Kleinkindern können Tausende von Dinar kosten. Geflüchtete Familien dürfen offiziell nicht in Jordanien arbeiten und müssen sich für derartige Dienste häufig hoch verschulden. Doch auch für jordanische Familien sind Grunddienstleistungen ein Problem. Einkommensschwache Familien können möglicherweise ihre Kinder nicht zur Schule zu schicken, oder sie wissen nicht, wo sie Unterstützung für Dinge wie Hörgeräte oder Kinderbetreuung hernehmen sollen. Manche jordanischen Familien kennen daneben ihre Grundrechte nicht und sind damit anfällig für Ausbeutung.

Seit Beginn der Covid-19-Pandemie ist die Situation noch schwieriger geworden. Die Zahl der in Armut lebenden Familien in Jordanien ist laut einer gemeinsamen Studie von UNHCR und der Weltbank in der jordanischen Bevölkerung um 38 % und unter syrischen Geflüchteten um 18 % gestiegen. Stress und Ängste haben sowohl unter Vertriebenen als auch Gastfamilien zugenommen. Dies führt zu einem Anstieg von Depressionen, Drogenmissbrauch und Gewalt gegen Frauen und Kinder (Unicef, 2020).

 

 

Was wir jetzt tun

Unsere Teams gehen jeden Tag in Gemeinschaften, die von diesen Herausforderungen betroffen sind. Die Krise in Jordanien mag weniger in den Medien präsent sein als andere humanitäre Krisen, doch wir sehen Tag für Tag den humanitären Bedarf und die Gesichter der betroffenen Menschen. Wir möchten weiterhin Unterstützung leisten. Deshalb sind wir noch in Jordanien.

Unsere Projekte im Bereich der psychischen Gesundheit unterstützen schutzbedürftige und geflüchtete Familien und vermitteln ihnen die nötigen Instrumente zur Bewältigung von Stress, Ängsten, Trauer oder Traumata, sei es aufgrund vergangener Ereignisse oder der Covid-19-Pandemie.

Im Rahmen unseres Bargeldhilfe und Fallmanagement umfassenden Programms bekommen schutzbedürftige Familien Zugang zu den Dienstleistungen, die sie benötigen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Dazu gehören u. a. Unterstützung bei der Suche nach geeignetem Wohnraum, Rechtsberatung oder Hilfe bei der Existenzgründung zur Bestreitung des Lebensunterhalts.

Unser Geld-für-Gesundheit-Programm unterstützt Familien wie die von Laylin und Wahid, wenn sie sich grundlegende Gesundheitsdienste nicht leisten können. Dabei übernehmen wir die Kosten für lebenswichtige Operationen, Gesundheitsfürsorge für Mütter, Behandlungen von nicht übertragbaren Krankheiten wie Herzkrankheiten und Diabetes oder die medizinische Versorgung von Kleinkindern. Im Rahmen dieses Programms nutzen wir das gut ausgestattete jordanische Gesundheitssystem, ohne Dienstleistungen zu duplizieren. Gleichzeitig bekommen schutzbedürftige Familien Zugang zu den Gesundheitsdiensten, die sie benötigen.

So sind wir, um es kurz zu fassen, immer noch in Jordanien, weil es immer noch viele Familien gibt, die der Unterstützung bedürfen. Solange wir können, sind wir entschlossen, diese zu leisten.

 


 

Die Arbeit von Medair in Jordanien wird durch die Unterstützung der Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit, des UN Amts für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten, der Europäischen Kommission für Katastrophenschutz und humanitäre Hilfe, des deutschen Auswärtigen Amtes und des US State Department’s Bureau of Population, Refugees, and Migration (PRM) ermöglicht.

Alle Fotos: © Medair / Mona van den Berg

Dieser Artikel wurde von Mitarbeitenden von Medair in den Einsatzgebieten und am internationalen Hauptsitz verfasst. Die vertretenen Ansichten sind ausschliesslich die von Medair und in keiner Weise auf offizielle Positionen anderer Hilfsorganisationen übertragbar.

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