Geschichten

Südsudan

Jenseits von Konflikt und Leid

Als ich die Gesundheitseinrichtung von Medair betrete, fällt sie mir sofort auf. Eine junge Mutter, schweigend auf dem Bett ihrer einjährigen Tochter sitzend, die mit einem bunten Tuch zugedeckt dicht neben ihr schläft. Zusammen mit zwei anderen vom Team gehe ich auf sie zu. Im Gespräch erzählt sie, dass sie stundenlang gelaufen war, um zu uns zu gelangen. Ihre Tochter war immer schwächer geworden. Als Mutter hatte sie keine andere Wahl, als den langen Fussweg anzutreten.

 

Eine Mutter mit ihrem Kind einer Ernährungsklinik von Medair. ©Medair/Amy van Drunen

 

Die Geschichte dieser Mutter geht mir nah. Die mangelhafte Gesundheitsversorgung in diesem Land, die vielen unterernährten Kinder … es ist herzzerreissend. Diese Mutter kümmert sich so liebevoll und fürsorglich um ihr Kind. Der Weg zur Stadt, in der sich unsere Gesundheitseinrichtung befindet, ist besonders für junge Frauen gefährlich. Sie hat das Risiko trotzdem auf sich genommen. Auch wenn den Menschen dort oft nichts anderes übrigbleibt, kann den Mut dieser jungen Mutter nur bewundern.

 

Nach dem Besuch in der Gesundheitseinrichtung kommen wir zurück zu unserer Basis. Beim Überqueren der angrenzenden Landebahn sehen wir eine Ansammlung von Menschen um einen Hubschrauber. Sie lachen, klatschen und tanzen. Ich frage einen Mann, was los ist, und er antwortet: «Unsere Kinder sind zurück.» Jemand vom Team erzählt mir später, dass im letzten Jahr mehrere Kinder aus der Gemeinschaft entführt worden waren. Nach vielen Monaten in Angst und Ungewissheit sind sie nun zurück. Ein ganz besonderer Moment und es ist bewegend, dabei sein zu dürfen.

 

Woran denken Sie beim Stichwort «Südsudan»? An Krieg, Hunger, Kindersterblichkeit und Krankheitsausbrüche?

Teilweise liegen Sie damit selbstverständlich richtig. Kämpfe und Konflikte sind in einigen Gebieten an der Tagesordnung. Viele Menschen bekommen nur eine einzige Mahlzeit pro Tag. In unseren Kliniken behandeln wir viele unterernährte und kranke Kinder, ebenso wie ihre Mütter.

 

Das ist aber nur eine Seite der Geschichte. Der Südsudan ist mehr als die Bilder von Armut und Leid, die immer wieder im Fernsehen gezeigt werden.

 

Mein Vertrag und damit die Zeit Südsudan neigt sich dem Ende zu. Dabei denke ich immer wieder an die Menschen, die ich hier getroffen habe.

Ich erinnere mich an Rebecca, eine Mutter von acht Kindern. Sie ist erst 40 Jahre alt und hat schon viele Verluste erlitten. Ihr Mann starb vor langer Zeit, sie musste sie ihre acht Kinder allein grossziehen. Trotz allem blieb sie blieb stark und gab nicht auf, doch es folgten weitere Schicksalsschläge. In den folgenden Jahren starben drei ihrer Kinder und acht Enkelkinder wurden zu Waisen. Rebecca kümmerte sich auch um sie, sonst war niemand da. Obwohl sie kein Einkommen hat, versucht sie nun jeden Tag, genug Essen für ihre Enkelkinder zu finden. An manchen Tagen schafft sie es, an anderen nicht. Ich frage Rebecca, was sie sich für die Zukunft erhoffe. Mit sanfter, aber klarer Stimme antwortete sie: «Meine Hoffnung ist, dass alle Menschen Gott finden und es im Südsudan Frieden gibt. Und dass meine Enkelkinder zur Schule gehen können.»

 

Ihre Geschichte rührt mich zu Tränen. Die Liebe dieser Grossmutter zu ihren Enkelkindern und ihre Hoffnung für die Zukunft sind so stark.

 

Ich denke auch an mein Team im Südsudan. Vor Kurzem habe ich das Zelt mit einer Kollegin geteilt, die in einer unserer Ernährungskliniken arbeitet. Oft ging sie direkt nach dem Aufwachen nachschauen, wie es den Kindern in der Nacht ergangen war und ob es ihnen besser ging. Manchmal kehrte sie am Ende des Tages niedergeschlagen zurück, weil sich der Gesundheitszustand eines der Kinder verschlechtert hatte. An anderen Tagen kam sie freudig zurück, weil eines oder mehrere der Kinder entlassen werden konnten. Niemals werde ich ihre Hingabe für diese jungen, schutzbedürftigen Kinder vergessen.

 

Wenn ich nach Hause zurückkehre, wird es vor allem die Stärke der Menschen im Südsudan sein, die mein Bild von diesem Land prägt. Natürlich werde ich mich auch an Schmerz, Trauer und Gewalt erinnern. Eine Südsudanesin sagte mir einmal: «Wir wurden in der Krise geboren, wir sind in der Krise aufgewachsen, und meine Kinder werden auch in der Krise leben.» Die Situation im Südsudan ist komplex und erscheint manchmal hoffnungslos. Das Land ist jedoch so viel mehr als die Krise. Mein Team, Rebecca und die vielen anderen Menschen beweisen das täglich. In den Nachrichten wird wenig darüber berichtet, doch sind es diese Menschen, die das Gesicht des Südsudans prägen. Zumindest für mich.

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