Medair geht seit 30 Jahren die Extrameile: Interview mit Geschäftsführer David Verboom
Medair feiert 2019 sein 30-jähriges Bestehen. Ein Anlass, um innezuhalten, auf das Erreichte zurückzublicken und uns über die vielen Menschenleben zu freuen, die durch unsere Arbeit verändert werden konnten.
Medair feiert 2019 sein 30-jähriges Bestehen. Ein Anlass, um innezuhalten, auf das Erreichte zurückzublicken und uns über die vielen Menschenleben zu freuen, die durch unsere Arbeit verändert werden konnten. Mit David Verboom, der seit 2018 die Geschäftsleitung innehat, sprachen wir darüber, was Medair auszeichnet und wie er sich die Zukunft der Organisation vorstellt.
Ihre humanitäre Laufbahn begann 1998 bei Medair. Aus welchen Gründen engagieren Sie sich nach all den Jahren erneut für die Organisation?
Für mich ist Medair einzigartig. Ihr Konzept ist einzigartig. Ich nenne es „People to people“ – ein Ansatz, der den Menschen als Individuum ins Zentrum rückt. Wir reisen in Gebiete, in denen kaum andere NGOs vertreten sind, besuchen abgelegene Orte, wo keine Strasse hinführt. Denn genau dort ist der Bedarf an Hilfe meist am grössten. Das ist unser Auftrag: Besonders schwer erreichbare Orte aufsuchen, unser ganzes Know-how für Menschen in Not einsetzen und ihnen neue Hoffnung schenken. Zudem möchten wir Menschen mobilisieren. Wir fördern und schulen Fachkräfte aus der ganzen Welt und helfen ihnen bei der Entfaltung ihres Potenzials. So entwickeln wir die nächste Generation von humanitären Helfern und Führungspersönlichkeiten.
Diesen Weg bin ich selbst auch gegangen. Nach meinem Studium in Ingenieurswissenschaften und Betriebswirtschaft arbeitete ich zunächst in den Niederlanden als Unternehmensberater. Doch ich wollte mehr, wollte mich für Menschen in Not engagieren. Medair gab mir die Möglichkeit, im Süden des Sudans als humanitärer Helfer zu arbeiten und bald konnte ich führende Positionen übernehmen. Ich bin sehr glücklich, nach all den Jahren wieder Teil dieser besonderen Organisation zu sein.
Welche Rolle spielt Medair innerhalb der humanitären Gemeinschaft?
Ich bin überzeugt, dass Medair mit ihrem Menschen-zentrierten Ansatz eine wichtige Rolle für die zukünftige Entwicklung des humanitären Sektors spielt. Es droht die Gefahr, dass Organisationen aus dem humanitären Bereich oder der Entwicklungshilfe immer mehr industrieartige Wesenszüge annehmen und sich eine richtiggehende „Hilfsindustrie“ entwickelt. Wir dürfen uns nicht davon abbringen lassen, unseren Hauptfokus auf das wirklich Wesentliche zu richten: Menschen in Krisen auf der ganzen Welt beizustehen. Dieses Ziel erreichen wir zum Beispiel durch den Einsatz von innovativer Technologie. Auch in entlegenen Regionen gibt es mittlerweile Internet. Davon machen unsere Teams während Bedarfsanalysen Gebrauch. Sie befragen die Hilfsbedürftigen direkt mithilfe von Smartphones und Tablets und halten deren spezifische Wünsche fest. Egal, ob ein Hilfseinsatz mitten im kongolesischen Dschungel, einem Flüchtlingslager im Libanon oder einem abgelegenen afghanischen Dorf durchgeführt wird: Unsere Mitarbeitenden erkundigen sich direkt bei den Betroffenen nach ihren Bedürfnissen und ermitteln, wo sie mit den Hilfsleistungen am besten ansetzen können. Auch Rückmeldungen zur Organisation und Verbesserungsvorschläge werden so dokumentiert. Es geht darum, eng mit den Hilfeempfängern zusammenzuarbeiten, sie in Entscheidungen mit einzubinden und eine Grundlage zu schaffen, damit sie ihre Zukunft selbstbestimmt gestalten können.
Wo sehen Sie Medair in fünf Jahren?
Aufgrund des Klimawandels nimmt die Zahl der Naturkatastrophen weiter zu. Leider häufen sich menschengemachte Krisen ebenso, denken Sie an Syrien, den Südsudan oder Afghanistan. Durch die steigende Zahl von Krisen sind nach Angaben der Vereinten Nationen 135 Millionen Menschen täglich auf humanitäre Hilfe angewiesen. 65 Millionen Menschen mussten ihre Heimatdörfer verlassen und leben als Flüchtlinge im Ausland – oder als Binnenvertriebene im eigenen Land.
Noch nie zuvor gab es so viele hilfsbedürftige Menschen wie heute. Wir brauchen einen besseren Zugang zu den betroffenen Gemeinschaften, mehr hochqualifizierte Fachkräfte, die wir in diese schwierigen Gebiete entsenden können, und die finanziellen Mittel, um auf den wachsenden Bedarf zu reagieren. Die aktuelle Weltlage birgt aber auch Chancen für den humanitären Sektor. Wichtige Fragen drängen sich auf: Wie können wir kosteneffizienter arbeiten? Wie können wir bei der Bereitstellung von Hilfe innovativer sein? Es geht nicht nur darum, im humanitären Sektor ein paar Modifikationen vorzunehmen. Es geht darum, unseren Ansatz komplett zu überdenken. Um dem steigenden Bedarf an humanitärer Hilfe gerecht zu werden, brauchen wir völlig neue Methoden, welche die vorhandenen Ressourcen besser nutzen. Auch wir als Organisation werden unser Modell anpassen, damit wir Gemeinschaften in Krisen auch zukünftig optimal unterstützen können.
Wir möchten uns stetig verbessern, um den von Katastrophen und Armut betroffenen Menschen die Hilfe und die Mittel zukommen zu lassen, die es ihnen ermöglicht, ihre Zukunft wieder selbst in die Hand zu nehmen. Was würden Sie den Unterstützerinnen und Unterstützern von Medair gerne mitteilen?
Ich möchte mich bei jedem einzelnen bedanken, der unsere Arbeit unterstützt, seien dies institutionelle Partner, Unternehmen oder private Spendende. Auch unseren ehrenamtlichen Mitarbeitenden, die Medair ihre Zeit und ihre Fähigkeiten zur Verfügung stellen, möchte ich ganz herzlich danke sagen. Mein Dank geht an diejenigen, die für uns beten. Und selbstverständlich an die Männer und Frauen, die in unseren Einsatzgebieten an vorderster Front Hilfe leisten.
Jeder einzelne Beitrag und jeder Einsatz macht für die Betroffenen einen grossen Unterschied. Ausserdem würde es mich sehr freuen, wenn sich noch mehr Menschen unserem Netzwerk anschliessen würden, sei dies mit einer Spende, im Gebet oder indem sie für uns arbeiten.
Teilen Sie Berichte über Medair auf Social Media, besuchen Sie einen unserer Events in Ihrer Nähe oder starten Sie Ihre eigene Fundraisingkampagne. Es gibt unzählige Möglichkeiten, wie Sie sich engagieren können. Nur dank Ihrer Hilfe können wir Menschen in Not erreichen. Finden Sie heraus, ob und wie Sie sich persönlich einbringen möchten – und legen Sie am besten gleich los!
CHECK OUR LATEST STORIES
GeschichtenVORGESTELLTE GESCHICHTENSyrienGesundheit & Ernährung
Neues Leben für eine Klinik in Syrien
«Die Klinik ist fertig!» Diese Nachricht war Musik in den Ohren von Dr. Eyad, dem Leiter der Klinik in Tal Salhab. Medair hatte soeben die Reparaturarbeiten abgeschlossen. Grossartige Nachrichten, denn die Klinik ist das einzige primäre Gesundheitszentrum in Tal...
GeschichtenSudanWasser, sanitäre Anlagen und Hygiëne (WASH)
Sudan-Krise: Wie Medair weiterhin hilft, um das Leid zu lindern
Sudan-Krise: Wie Medair weiterhin hilft, um das Leid zu lindern Zwölf Monate nach Beginn des bewaffneten Konflikts im Sudan hat sich dieser zur grössten Vertreibungskrise der Welt entwickelt. Bis heute wurden 8,4 Millionen Menschen gezwungen, aus ihren Häusern zu...
GeschichtenVORGESTELLTE GESCHICHTENUkraineGesundheit & ErnährungPsychische Gesundheit
Der Bedarf an psychosozialer Unterstützung in der Ukraine
«Die Organisation dieser Schulungen hat mir sehr gut gefallen. Ich habe bereits eine Menge Interessantes gelernt. Vieles kannte ich zwar schon, aber ich hatte noch nie gründlich darüber nachgedacht. Ich habe neue Dinge gelernt und weiss jetzt, wie ich sie in meiner...
GeschichtenVORGESTELLTE GESCHICHTENMadagaskarWasser, sanitäre Anlagen und Hygiëne (WASH)
Innovative Lösungen für den dürregeplagten Süden Madagaskars
Im Süden Madagaskars bleibt der Regen immer länger aus. Die Dürre hält schon Jahre an und es herrscht grosse Hungersnot. Seit über zwei Jahrzehnten leistet Medair humanitäre Hilfe in Madagaskar. Zurzeit unterhalten wir in den südlichen Bezirken Ambovombe und...
GeschichtenUkraineUnterkunft und Infrastruktur
Widrigkeiten überstehen
Wir sind zu Besuch in einer Gemeinde in der Region Kiew, bei zwei Frauen, die den Krieg überlebt haben. Beide Frauen hatten durch den Beschuss grosse Schäden an ihren Häusern erlitten. Hier möchten wir Nataliyas und Tetyanas Geschichten von Widerstandskraft und...
GeschichtenVORGESTELLTE GESCHICHTENJordanienGesundheit & Ernährung
Für eine bessere Gesundheit
Anlässlich des bevorstehenden Weltgesundheitstages, möchten wir mit dieser Geschichte veranschaulichen, wie Medair zu einer gesünderen Welt beiträgt – unter anderem in Flüchtlingsgemeinschaften in Jordanien. «Wir haben alles verloren, unser Haus und unseren Hof....
GeschichtenMadagaskarFrauen & KinderWasser, sanitäre Anlagen und Hygiëne (WASH)
Wasser holen – eine Last für Frauen
«Zusätzlich zu meinen Pflichten als alleinerziehende Mutter muss ich jeden Tag an einem Ort etwa drei Stunden entfernt von hier Wasser holen», erzählt Farasoa. Die 38-jährige ist Mutter von sieben Kindern und von ihrem Mann geschieden. Mit ihren Kindern lebt sie in...
GeschichtenJemenGesundheit & Ernährung
Aus einer Hütte wird eine Gesundheitseinrichtung
Nach fast einem Jahrzehnt des Konflikts im Jemen sind grosse Teile der öffentlichen Infrastruktur des Landes zusammengebrochen. Rund 66 Prozent der Bevölkerung sind dringend auf humanitäre Hilfe angewiesen. Das jemenitische Gesundheitssystem hat sich...