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Ihre Geschichte: Awash

Im Libanon herrschen mehrere Krisen, die sich gegenseitig verschärfen. Die sozioökonomische Lage der syrischen Geflüchteten verschlechtert sich zusehends und Einkommensmöglichkeiten sind begrenzt. Besonders im Bekaa-Tal finden die Geflüchteten kaum angemessene Unterkünfte.

«Vorher kamen wir noch irgendwie zurecht», sagt Ahmad. «Doch seit letztem Jahr ist das tägliche Leben viel schwieriger geworden.»

Ahmad und seine Mutter, Awash, sind 2014 aus Aleppo in Syrien geflüchtet und haben im Libanon Schutz gesucht. Seitdem sind sie hier. Die Siedlung, in der Awash und Ahmad leben, ist klein im Vergleich zu anderen und besteht aus nur vier Zelten. «Das sind zwei mehr als bei unserer Ankunft», sagt Ahmad. Das Camp liegt am Rand einer unbefestigten Strasse und umgeben von viel fruchtbarem Ackerland, einschliesslich einiger Gewächshäuser. Ahmad hat einen grünen Daumen und er nutzt seine Fähigkeiten. Wie viele andere aus Syrien Geflüchtete in der Gegend arbeitet er für seinen Grundbesitzer. Sicher ist Ahmads Fähigkeit, Pflanzen zum Gedeihen zu bringen, eine grosse Hilfe, trotzdem sagt er: «Vorher kamen wir noch irgendwie zurecht, doch seit letztem Jahr ist das tägliche Leben viel schwieriger geworden.»

Ahmad hat sieben Kinder – sechs Buben und ein Mädchen. Wir bekommen sie bei unserem Besuch nur kurz zu Gesicht. Stattdessen richtet sich unsere Aufmerksamkeit auf die über 80-jährige Awash. Sie hat strahlende Augen, ein breites Lächeln und macht einen schelmischen Eindruck. Ihr Gesicht ist mit Tätowierungen verziert. Zwei dünne Linien laufen seitlich zu ihrem Mund, und um ihren Mund und auf ihrer Stirn sind Sterne eintätowiert.

Awash kann nicht mehr so gut laufen. «Ich habe das schon lange gespürt», sagt sie. «Aber in den letzten zwei Jahren ist es viel schlimmer geworden. Heute kann ich nicht mehr ohne Unterstützung laufen.» Beim Gehen setzt sie vorsichtig einen Fuss vor den anderen und hält sich an der Seite des Zeltes fest, um das Gleichgewicht zu halten. Im Winter verwandelt der Regen die Siedlung in eine Schlammwüste, später bedeckt von Schnee. «Es wird richtig kalt, so kalt, dass ich es bis in die Knochen spüren kann», sagt Awash. «Wenn ich das Zelt verlasse, zieht mich meine Familie warm an und trägt mich. Dazu braucht es zwei.»

Unser Besuch bei der Familie ist kurz – viel zu kurz – und ehe wir uns versehen, verabschieden wir uns und fahren ab. Ahmad lässt uns jedoch nicht ohne eine Handvoll frischer Gurken gehen. Wir waschen die Gurken beim Auto mit Wasser aus der Flasche und essen sie in der Sonne. Es ist schöner Moment, aber natürlich machen wir uns Sorgen um die Familie. Wir fragen uns, ob Awash die Chance haben wird, Aleppo wiederzusehen, oder wie bald Ahmads Kinder die Heimat ihrer Eltern kennenlernen können.

Ein Waschraum und ein Pfad erscheinen als Hilfe wenig angesichts des Ausmasses der Krise, die wir gerade mit eigenen Augen gesehen haben. Awash hat jedoch nie ihren Funken und ihre Lebensfreude verloren. Diese Eindrücke begleiten uns, als wir uns verabschieden. Eine Latrine und ein Pfad stehen für die Weigerung, sich der Verzweiflung hinzugeben.

Medair hat einen befestigten Pfad entlang des Zeltes angelegt, in dem die Familie wohnt, und so einen ebenen Weg zum Waschraum geschaffen.  Der Raum wurde mit Haltegriffen ausgestattet und die Latrine repariert. «Jetzt ist es viel einfacher», sagt Awash.

Die Unterkunftsprojekte von Medair im Libanon werden durch die Unterstützung des Hochkommissariats der Vereinten Nationen für Flüchtlinge, der Glückskette und privaten Spenden ermöglicht.

 

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