Geschichten

Explosion in Beirut: «Ich dachte, das Gebäude würde über mir zusammenstürzen»

Curt Tyler, Landesverantwortlicher im Libanon, berichtet von seinen Erfahrungen nach der Explosion vom 4. August in Beirut und davon, was Medair tut, um die Not der betroffenen Menschen zu lindern.

Als sich die Explosion in Beirut am 4. August ereignete, befand sich Curt Tyler, Landesverantwortlicher im Libanon, gerade im Lift. Er freute sich darauf, nach einer fünfmonatigen Trennung von seiner Frau aufgrund der COVID-19 Reisebeschränkungen wieder mit ihr vereint zu sein. Doch von einem Moment auf den anderen wurden ihre Pläne zunichte gemacht, gemeinsam ein paar Tage Ruhe geniessen zu können.

«Ich hatte Angst, das Gebäude würde über mir zusammenstürzen. Es war sehr beängstigend», erzählt Curt.

Die Explosion ist die jüngste in einer Reihe von Krisen, von der das Land in den letzten Jahren heimgesucht wurde – von der Belastung der syrischen Flüchtlingskrise über eine sozioökonomische Notlage, deren Auswirkungen das Land an den Rand des Abgrunds geführt haben bis hin zur starken Ausbreitung der COVID-19-Pandemie. Durch die sich verschärfende Situation sind die Menschen immer weniger in der Lage, ihre wichtigsten Bedürfnisse zu decken – der Druck auf alle Bereiche der Gesellschaft verstärkt sich enorm.

Medair hat in Beirut bereits mit der Bereitstellung von Notunterkünften und psychologischer Unterstützung für die Betroffenen begonnen. Curt Tyler beschreibt, wie es seit der Explosion vor Ort aussieht:

Wie haben Sie die Stunden nach der Explosion erlebt?

Es herrschte völliges Chaos. Es dauerte mehrere Stunden, um herauszufinden, was passiert war, und es kursierten zahlreiche Gerüchte. Wir wussten nicht, ob es sich um einen Angriff oder eine Bombe handelte. Die Menschen waren fassungslos. Überall sah man schwer beschädigte Gebäude. Zerschmetterte Autos lagen verlassen auf der Strasse, Fenster und Türen waren von der Wucht vollständig herausgesprengt worden. Dazwischen lag haufenweise Müll verstreut.

Wie kommt das Medair-Team im Libanon nach der Explosion zurecht?

Glücklicherweise befand sich unser gesamtes Team zu dieser Zeit in Zahlé, weit entfernt von der Hauptstadt, wo die Explosion stattfand. Nur eine Mitarbeitende hielt sich zum Zeitpunkt der Explosion in Beirut auf. Sie wurde leicht verletzt, aber es geht ihr inzwischen gut, und sie engagiert sich nun bei unserem Nothilfeeinsatz.

Es war für alle Beteiligten traumatisch, deshalb haben wir dafür gesorgt, dass alle Mitarbeitenden Zugang zu psychologischer Unterstützung haben. Aber das Team ist einfach grossartig. Ihr Einsatz richtete sich sofort auf die Notlage in Beirut.

Was brauchen die Menschen Ihrer Meinung nach am dringendsten nach der Explosion?

Die Not ist immens. Mehr als 300 000 Menschen sind zurzeit obdachlos. Viele Menschen brauchen psychologische Unterstützung, um das Trauma, das sie erlebt haben, zu verarbeiten. Sie brauchen Hilfe bei der Instandsetzung ihrer Häuser. Auch wird eine grosse Anzahl von Menschen Bargeldhilfe benötigen, um die Miete und andere lebensnotwendigen Dinge zu bezahlen. Krankenhäuser und Gesundheitszentren werden Unterstützung bei Reparaturarbeiten, der Wiederauffüllung der Medikamentenvorräte und vielem mehr benötigen.

Die Zahl der COVID-19-Fälle nimmt täglich mit alarmierender Geschwindigkeit zu. Sicherheitsfragen werden in der kommenden Zeit unsere grösste Herausforderung sein.

Was unternimmt Medair, um den Menschen in Beirut bei der Bewältigung der Krise zu helfen?

Kurz nach der Explosion traf sich unser Team, um einen Nothilfeeinsatz zu planen. Da wir von der entscheidenden Bedeutung der partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit anderen humanitären Organisationen überzeugt sind, kontaktierten wir Arcenciel– eine lokale NGO in Beirut, mit der wir bereits vorher zusammenarbeiteten. Wir planten einen gemeinsamen Einsatz in Beirut, um mehr Informationen über die konkrete Situation zusammenzutragen und herauszufinden, wie und womit wir die Menschen am besten unterstützen können.

Innerhalb von 36 Stunden fuhren unsere Teams in die am schlimmsten verwüsteten Gebiete Beiruts, um die Bedarfslage zu ermitteln und bei den Aufräumarbeiten zu helfen.

Wir koordinieren unsere Arbeit auch mit behördenübergreifenden Systemen und anderen Organisationen, die sich im Bereich Unterkünfte spezialisiert haben. Gemeinsam bewerten wir die Schäden und verteilen Materialien, damit die Menschen möglichst schnell mit der Instandsetzung ihrer Häuser beginnen können. Zudem werden wir auch kleinere Reparaturen und Sanierungen an Häusern durchführen – insbesondere an solchen, wo Menschen mit besonderen Bedürfnissen leben, um die Sicherheit und den Zugang für sie zu gewährleisten.

Besonders gefährdete Menschen unterstützen wir mit Bargeldhilfe, damit sie ihre Miete bezahlen und die wichtigsten Reparaturen an ihren Häusern vornehmen können. Wir helfen mit, die durch die Explosion beschädigten Gesundheitseinrichtungen wiederaufzubauen und stellen entsprechende Materialien und Werkzeuge bereit. Gleichzeitig leisten wir psychologische Unterstützung für Betroffene und schulen freiwillige lokale Gesundheitsmitarbeitende in psychologischer Ersthilfe. Unser Informationsmanagement-Team geniesst im Libanon hohes Ansehen und ist Teil der Kerngruppe für Evaluierung und Analyse.

Wie kann Medair die Wiederaufbaumassnahmen auf besondere Weise unterstützen?

Medair verfügt über grosse Erfahrung im Bereich Unterkünfte, medizinische Versorgung, Informationsmanagement und psychologischer Unterstützung, sodass wir den Menschen in Beirut gezielt helfen können.

Speziell im Bereich Unterkünfte setzen wir den Standard für andere, um sicherzustellen, dass die Menschen nicht nur Hilfe bekommen, sondern auch die qualitativ hochwertigste Unterstützung erhalten.

Wie können die Unterstützer von Medair helfen?

Um den Libanon wiederaufzubauen, ist eine aufeinander abgestimmte, gemeinschaftliche Anstrengung nötig. Die Herausforderungen sind riesig. Wir tun, was wir können, um einen Unterschied im Leben der Menschen zu bewirken.

Wir brauchen Ihre finanzielle Unterstützung im Libanon jetzt mehr denn je. Für die Linderung der immensen Not benötigen wir mehr finanzielle Mittel. Unsere Spenderinnen und Spender können sich darauf verlassen, dass wir die uns zur Verfügung gestellten Mittel bestmöglich einsetzen, um den dringendsten Bedarf zu decken.

Und bitte beten Sie mit und für uns. Wir sind dankbar um Gebete für Schutz und Sicherheit, Weisheit bei der Planung, die erfolgreiche Durchführung unseres Einsatzes und die nötige Kraft für unsere Mitarbeitenden, um die schwierigen Tage zu überstehen.

Das Team, das von nationalen Mitarbeitenden angeleitet wird, ist einfach grossartig. Die Teammitglieder arbeiten pausenlos. Sie sind entschlossen, alles zu tun, was nötig ist, um den Menschen durch diese Krise zu helfen. Unser herzlichster Dank gilt all unseren Spenderinnen und Spendern, die diesen Einsatz erst möglich machen.

Bei der gewaltigen Explosion im Hafen von Beirut vom 4. August kamen mindestens 178 Menschen ums Leben, mehr als 6000 wurden verletzt und rund 300 000 Menschen sind seither obdachlos.

Die Menschen brauchen Ihre Unterstützung, damit sie diese Notlage überstehen können. Bitte helfen Sie nach Ihren Möglichkeiten, um das Leiden der Menschen im Libanon zu lindern.

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