Geschichten

„Die Last wiegt schwer“

"Bargeldhilfe für notleidende Familien zur Deckung ihrer Grundbedürfnisse"

«Keine Arbeit, kein Essen», sagt Hayat.

Mütter gehören zu den am stärksten Betroffenen der sich verschärfenden Krise im Libanon, da sie neben Haushalt und Kinderbetreuung oft auch allein den Lebensunterhalt verdienen müssen. «Das Libanesische Pfund hat zwischen 2019 und Juni 2021 rund 90 Prozent seines Wertes verloren. Die Inflation mit einem Preisanstieg von 340 Prozent für Grundnahrungsmittel und die Kürzung von Subventionen für Grundnahrungsmittel und Treibstoff haben die Kaufkraft der Menschen, insbesondere in Libanesischen Pfund entlohnten Arbeitnehmenden, stark beeinträchtigt.» (LCRP, S. 100)

Seit der Explosion in Beirut vor einem Jahr hat sich die wirtschaftliche, politische und soziale Krise im Libanon verschärft. Medair hat die Aktivitäten vor Ort kontinuierlich an die sich wandelnden Bedürfnisse angepasst. Mit Bau-Sets für Notunterkünfte bis hin zu grösseren Instandsetzungsarbeiten an Häusern und wichtigen Dienstleistungen im Bereich der psychischen Gesundheit und psychosozialen Unterstützung hat Medair sich den Bedürfnissen der Menschen angenommen. Mit Verschärfung der Krise reagierte Medair auch auf den wachsenden Bedarf nach finanzieller Unterstützung für Lebensmittel, Miete, Medikamente und andere grundlegende Dienste. Dieser Einsatz basierte auf Gesprächen mit Verantwortlichen und Mitgliedern der Gemeinschaften vor Ort. Bargeldhilfe erfolgte an vier aufeinanderfolgenden Monaten und erreichte 331 der schutzbedürftigsten Haushalte in den betroffenen Gemeinschaften. Die Unterstützung ergänzt die Aktivitäten im Bereich Unterkünfte und psychosoziale Unterstützung. Die Würde und die Handlungsfähigkeit der Betroffenen werden gewahrt, da sie selbst entscheiden, was sie am dringendsten benötigen.

Die 50-jährige Libanesin Hayat lebt im Stadtteil Bachoura in Beirut. Sie hat jung geheiratet und lebt seit 30 Jahren in Bachoura. Hayat ist nun alleinerziehende Mutter von drei Kindern. Ihr Haushalt wurde im Rahmen des Bargeldhilfeprojekts von Medair als besonders schutzbedürftig eingestuft. Hayat schildert die Sorgen und Nöte der Familie unter diesen schwierigen Umständen und wie wichtig die Bargeldhilfe für sie war.

«Ich weiss gar nicht, wo ich mit anfangen soll», sagt Hayat, während sie sich auf ihre Couch setzt. Sie holt tief Luft und fährt fort: «Ich bin eine fünfzigjährige, geschiedene Frau, die bei ihrer Mutter wohnt und ihre drei Kindern allein grosszieht. Das ist im Libanon eine sehr schwierige Situation. Es gibt keine finanzielle Unterstützung. Wir sind völlig auf uns allein gestellt. Ich bin die Einzige, die zum Haushaltseinkommen beiträgt, habe aber keine feste Anstellung. Ich arbeite stundenweise als Reinigungskraft und Aushilfe. Die Last auf meinen Schultern wiegt schwer. «Keine Arbeit, kein Essen.»

Zurzeit kann ich meiner Familie nur zwei Mahlzeiten am Tag bieten. Meist ist das zuerst ein Sandwich für den ärgsten Hunger meiner Kinder, und dann eine warme Mahlzeit am Abend. Ohne die Bargeldhilfe konnte ich mir keine nahrhaften Lebensmittel, wie z. B. Huhn, leisten. Die starke Inflation und die Abwertung des libanesischen Pfunds machen dies unmöglich. Dank der Bargeldhilfe konnte ich meinen Kindern wenigsten etwas Proteine bieten. Ich mache mir Sorgen um ihre Gesundheit. Ich bin mir bewusste, dass sie nicht die reichhaltige Nahrung bekommen, die sie für ein gesundes Leben brauchen. Das gilt auch für mich selbst. Aber ich bin nicht so wichtig. Meine Mutter hat mich gelehrt, stark zu sein. Das sage ich mir immer wieder. Ihre Krankheit trifft mich sehr. Sie ist eine solch starke Frau. Sie braucht derzeit täglich rund elf Medikamente. Die meisten Medikamente sind kaum erhältlich und unerschwinglich. Mein Jüngster leidet ausserdem an Asthma und braucht regelmässig einen Inhalator. Das Leben ist aus den Fugen geraten, wir stehen am Abgrund.»

Nach einer kurzen Pause, um sich zu sammeln, fährt Hayat fort: «In den letzten vier Monaten haben wir Bargeldhilfe erhalten. Das hat mir und meiner Familie unendlich viel bedeutet. In dem Wissen, dass ein festes Einkommen da ist, konnte ich zumindest kurzfristig grundlegende Dinge wie Lebensmittel und Medikamente für meine Familie kaufen, ohne mir Sorgen machen zu müssen. Ich konnte für meine Kinder da sein und das Nötigste für sie besorgen. Glauben Sie mir, nach dem Anruf von Medair, dass ich Anspruch auf Bargeldhilfe hätte, bin ich in Tränen ausgebrochen und habe Gott gedankt. Er vergisst die unschuldig Verlassenen nicht. Es war überwältigend, das Gefühl lässt sich nicht in Worte fassen. Viele Familien brauchen in dieser schwierigen Situation dringend Unterstützung. Ich hoffe meine Geschichte erreicht viele.»

In den letzten Jahren hat die Bargeldhilfe im humanitären Bereich einen immer höheren Stellenwert gewonnen. Sie gilt als wirksames Mittel zur Unterstützung von Einzelpersonen und Familien und wahrt deren Eigenständigkeit. Medair hat diesen Ansatz in mehreren Länderprogrammen rund um die Welt integriert. Bargeldhilfe kann angesichts der im Land verfügbaren Ressourcen zur Belebung der lokalen Wirtschaft beitragen und Menschen helfen, wieder auf die Beine zu kommen und sich auf ihre dringendsten Bedürfnisse ihrer Familien zu konzentrieren.


Die Arbeit von Medair in Beirut wird von der Glückskette und privaten Spendengeldern finanziert.

Dieser Artikel wurde von Mitarbeitenden von Medair in den Einsatzgebieten und am internationalen Hauptsitz verfasst. Die vertretenen Ansichten sind ausschliesslich die von Medair und in keiner Weise auf offizielle Positionen anderer Hilfsorganisationen übertragbar.

CONSULTEZ NOS DERNIÈRES HISTOIRES