Der Geschäftsführer bloggt: „Hingabe, die mir Hoffnung schenkt“
Mary und ihre vier Kinder essen zwei Mahlzeiten am Tag – wenn es gut läuft. Nicht selten bleibt ihr Magen aber auch den ganzen Tag leer. „Ich tue, was ich kann“, erzählt Mary. „Aber oft finde ich einfach nicht genug Nahrung. Meine Tage sind lang. Von morgens früh bis abends spät sammle ich Seerosenblätter, damit meine Kinder irgendwie satt werden.
“ Die 30-jährige südsudanesische Mutter spricht mit leiser Stimme und zeigt mit Handgesten, wie wenig sie und ihre Kinder zu essen haben. Der Nahrungsmangel macht Marys Familie schwer zu schaffen. Wir sprechen mit der vierfachen Mutter aus dem entlegenen Dorf im Südsudan, als sie in einer unserer Krankheitsstationen um Hilfe bittet.
Da hat Mary bereits einen dreistündigen Fussmarsch in der prallen Sonne hinter sich, ihre wunderschöne, neun Monate alte Tochter auf dem Rücken. „Nyakuma ist unterernährt. Wir haben nicht genug zu essen und deshalb funktioniert auch das Stillen nicht. Ich hoffe, dass ihr sie hier behandeln könnt“, erklärt Mary. Dabei drückt sie ihre Kleine fest an sich und spielt liebevoll mit den winzigen Händchen.
Mit ihrem Schicksal ist Mary leider nicht allein: Viele Südsudanesen haben eine ähnliche Geschichte zu erzählen. Das Mitte 2018 unterzeichnete Friedensabkommen soll dem Bürgerkrieg, der im Dezember 2013 losbrach, ein Ende setzen. Dennoch ist der Bedarf an humanitärer Hilfe im Südsudan enorm. Von den 11,4 Millionen Einwohnern sind ganze 7 Millionen auf Unterstützung angewiesen.
Viele leiden Hunger – im ganzen Land sind die Unterernährungsraten alarmierend hoch. Seit Jahrzehnten jagt im Südsudan eine Krise die nächste. Meine humanitäre Laufbahn nahm vor 20 Jahren hier, im damaligen Süden des Sudans, ihren Anfang. Medair reagierte dann auf eine schwere Hungersnot.
Seither hat sich die humanitäre Situation kaum verbessert. Es bricht mir das Herz, dass zwei Jahrzehnte später Schicksale, wie dasjenige von Mary und ihrer Familie, immer noch keine Ausnahme sind.
Doch die Begegnung und der Austausch mit unseren südsudanesischen Mitarbeitenden in der Klinik, in der ich Mary getroffen habe, lehrt mich eine wichtige Lektion: Auch, wenn eine Situation noch so ausweglos erscheint, dürfen wir niemals aufgeben. Es ist unsere Pflicht, alles Menschenmögliche zu tun, um das Leid bedürftiger Familien zu lindern. Im Schatten eines grossen Baums erzählen mir meine Kollegen davon, wie es war, als der Südsudan im Juli 2011 ein unabhängiger Staat wurde.
Erleichterung und Zuversicht machten sich im ganzen Land breit. Nur zwei Jahre später brach jedoch ein tödlicher Bürgerkrieg aus, der alle Hoffnungen zerstörte. Millionen Menschen flüchteten aus ihren Dörfern, viele von ihnen suchten Zuflucht in den Nachbarländern.
Auch zahlreiche Medair-Teammitglieder ergriffen die Flucht. Sobald ihre Familien jedoch in Ländern wie dem Sudan, Kenia oder Uganda in Sicherheit waren, kehrten sie wieder in den Südsudan zurück. Um jeden Preis wollten sie die Arbeit in ihren Heimatdörfern fortsetzen und Hilfsbedürftige wie Mary und ihre vier Kinder unterstützen.
Meine Kollegen im Südsudan zeigen ein Engagement, das mich tief berührt und das über alle Erwartungen hinausgeht. Bewaffnete Konflikte prägten die vergangenen Jahre – immer wieder wurden Freunde und Verwandte gewaltvoll aus dem Leben gerissen.
Dennoch bleiben sie vor Ort, angetrieben durch echte Fürsorge und Mitgefühl. Nach meinem Projektbesuch fliege ich zurück in die Hauptstadt Juba. Ich schaue aus dem Fenster, mein Blick schweift über die weitläufigen Sumpfgebiete und ich sinniere über die Zukunft des Landes: Die Herausforderungen und Probleme, vor denen Menschen wie Mary stehen, sind erdrückend. Die Mehrheit der Bevölkerung kämpft buchstäblich ums Überleben. Einfach ist es nicht, positiv in die Zukunft zu blicken.
Die Lage ist höchst komplex, der Weg zu dauerhaftem Frieden und Wiederaufbau scheint endlos. Aber meine Antwort, ob ich für das Land noch Hoffnung habe, lautet: „Ja“. Wie kann ich die Hoffnung verlieren, wenn diejenigen, die von der Krise direkt betroffen sind, ein solch grosses Engagement und eine solche Opferbereitschaft für ihr Land und ihre Leute zeigen?
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