Afghanistan: Das Leben geht weiter

Von Kabul aus fliege ich in den Süden Afghanistans. Was für eine Veränderung, die sich während der Reise vor meinen Augen vollzieht!

Von Kabul aus fliege ich in den Süden Afghanistans. Was für eine Veränderung, die sich während der Reise vor meinen Augen vollzieht! Lärm und Smog der Metropole schwinden allmählich. Die in Zentral- und Nordafghanistan von Bergen geprägte Landschaft wird immer sanfter und macht einer trockenen, endlos scheinenden Fläche mit vereinzelten Hügeln Platz. Anstelle der mehrstöckigen Gebäude der Stadt stehen hier kleine Lehmhütten. Flüsse führen nur wenig Wasser und schlängeln sich durch Dörfer und Ackerland. Wo man hinschaut, diese sandfarbene, unfruchtbare Erde. Ich frage mich, wie die Menschen es hier schaffen, ihre trockenen Felder zu bewirtschaften – und wie sie überleben.

Nach der Landung begrüsst uns am Flughafen ein üppiger Rosengarten – ein unerwarteter Empfang, der in keiner Weise meinem Bild vom Konfliktherd Südafghanistan entspricht. In der brütenden Sonne warte ich auf mein Gepäck und stelle fest, dass hier nicht mehr Dari, sondern Paschtu gesprochen wird. Männer grüssen sich freundlich im Vorbeigehen.

Hier im Süden herrscht eine konservativere Kultur. Das bedeutet, dass wir während der Arbeit Burkas tragen. Durch das grüne Netz vor meinem Gesicht beobachte ich das Gewusel um mich herum. Ich sehe ein Autohaus, eine Motorrad-Werkstatt, Fahrradläden und überall Bäckereien. Der Duft von frisch gebackenem Naan steigt mir in die Nase.

In verschiedene Brauntöne und tan patus (eine Art Schal) gehüllte Männer kurven auf Motorrädern und Fahrrädern durch die Stadt. Die Sonne scheint, doch die kühle Luft des Winters ist noch immer zu spüren. Es sind auch Autos auf den Strassen; kleinere Lastwagen und Transporter fahren ihrem Ziel entgegen, während sich um die Stadt herum die Steppe ausbreitet.

An Tagen wie diesem ist es schwer sich vorzustellen, dass Afghanistan mitten im Krieg ist. Doch die Sonne und die Ruhe täuschen: Entlang der Strasse erinnern Kontrollposten und aufgeregte Gespräche über die jüngsten gewaltsamen Vorfälle an die herrschende Unsicherheit und täglichen Gefahren. Sie rufen den Konflikt, der schon knapp vier Jahrzehnte anhält, schmerzlich ins Bewusstsein.

Ich denke darüber nach, welche Auswirkungen diese 40 Jahre auf die Bevölkerung gehabt haben. Immer wieder zwangen akute Notsituationen die Menschen dazu, sich anzupassen, um irgendwie klarzukommen. Gewiss, das Leben geht weiter. Doch der Konflikt hat deutliche Spuren hinterlassen: Für viele Menschen sind Basisdienste kaum mehr zugänglich. Die Welt dreht sich, eilt der Zukunft entgegen, die Vergessenen bleiben zurück. Ich sehe durch das grüne Netz vor meinen Augen und überlege, ob die Menschen sich auch tatsächlich verlassen und vergessen fühlen. Ich frage, ob sie noch hoffen können.

Die Provinz Kandahar verzeichnet eine der höchsten Raten akuter Unterernährung in ganz Afghanistan. Medair reagierte 2014 auf diese lebensbedrohliche Krise mit gemeinschaftsbasierten Ernährungsdiensten. In der Umgebung grösserer Städte richteten wir acht mobile Ernährungsstationen ein. Wir knüpften gute Beziehungen zu den Dorfgemeinschaften – so konnten wir unsere Programme schon bald ausweiten: Zurzeit reisen wir mit 27 mobilen Kliniken von Ort zu Ort. So erreichen wir auch Familien, denen es nicht möglich ist, eigenständig und auf sicherem Wege eine Klinik aufzusuchen.


Unsere Ernährungsfachkräfte gehen von Haus zu Haus und untersuchen Kinder unter fünf Jahren auf Unterernährung. Betroffene Kinder werden behandelt und ihre Mütter über grundlegende Hygiene und Ernährung aufgeklärt. Zwar können unsere Teams nicht allen Herausforderungen in Südafghanistan begegnen. Doch mit unserer lebensrettenden Arbeit signalisieren wir der Bevölkerung Afghanistans, dass wir sie nicht vergessen haben.


Möchten auch Sie Menschen in Südafghanistan Hoffnung schenken? Dann unterstützen Sie sie bitte mit einer Spende.

Die Arbeit von Medair in Afghanistan wird ermöglicht durch Global Affairs Canada, den  Common Humanitarian Fund, den Kanton Zürich, die Gebauer Stiftung (CH) sowie private Spenderinnen und Spender. 

Die Inhalte dieses Artikels stammen von Mitarbeitenden von Medair in den Einsatzgebieten sowie am internationalen Hauptsitz. Die geäusserten Meinungen entsprechen ausschliesslich jenen von Medair und damit nicht unbedingt dem offiziellen Standpunkt anderer Hilfsorganisationen.

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